Einsteigern wird beim Thema Smart Home sehr oft suggeriert, es ginge darum, allzeit und von überall die Kontrolle über seine Geräte zu haben. Kaum eine Werbung kommt ohne ein Bild des glücklichen Heimbesitzers mit gezücktem Smartphone aus, der gerade von seiner Sonnenliege aus die Jalousien runterfährt. So gestellt, wie diese Szenen sind, so irrelevant sind sie meist in der Praxis. Befinden sich die Bewohner zu Hause, so sollte sich ein smartes Heim erstmal genauso problemlos bedienen lassen, wie ein klassiches Gebäude, d.h. häufig verwendete Funktionen wie Licht und Jalousien werden per Wandschalter bedient, für die Heizungsregelung gibt es fest installierte Thermostate. Ein Heim, welches seine Nutzer zwingt, für alltägliche Zwecke ein Smartphone zu bemühen, kann man als Fehlplanung betrachten. Zum einen gibt es viele Zeitgenossen, die zu Hause das Smartphone generell nicht bei sich tragen und zum anderen ist es einfach unpraktisch, das Telefon entsperren zu müssen, eine App zu starten und an die richtige Stelle zu navigieren, nur um eine Aktion auszulösen. Nun gibt es aber in einem modernen elektrifizierten Haus oft so viele Dinge zu schalten, dass man nicht unbedingt für jede Einzelfunktion einen Wandschalter haben möchte - auch hier verliert man leicht den Überblick (Abb. 1).

Abb. 1: Bei klassischen Elektroinstallationen verliert man in modernen Häusern schnell den Überblick.
Abb. 1: Bei klassischen Elektroinstallationen verliert man in modernen Häusern schnell den Überblick.

Hat beispielsweise ein Zimmer mehrere Rollläden, so ist es normalerweise ausreichend, einen Schalter zu haben, um alle gemeinsam zu bedienen - nur selten wird man diese einzeln ansteuern wollen. Auch Lichter schaltet man eher in Gruppen als einzeln. Hier kann es sich also anbieten, weitere Optionen nur per Software, also auf dem Smartphone oder Tablet, anzubieten. Wenn die Steuerungs-App dies direkt ortsbezogen erlaubt, kann das sehr praktisch sein. Die Erkennung, wo sich der Nutzer gerade befindet kann z.B. über Bluetooth-Beacons oder auch per NFC-Tag (z.B. versteckt im Lichtschalter) geschehen (Abb. 2)

Abb. 2: Das Smartphone kann die Wandschalter um seltener genutzte Funktionen ergänzen.
Abb. 2: Das Smartphone kann die Wandschalter um seltener genutzte Funktionen ergänzen.

Sind die Bewohner außer Haus, so sind die Anwendungsfälle für eine Steuerung noch seltener. Gerne wird die Möglichkeit genannt, auf dem Heimweg aus dem Urlaub seine Heizung anzuschalten - das dürfte wohl vor allem für Winterurlauber interessant sein und das auch nur wenige Male im Jahr. Die Möglichkeit, die Waschmaschine vom Büro aus fernzustarten, wirkt auch eher theoretisch und dürfte niemanden vom Nutzen eines Smart Homes überzeugen.

Monitoring

Interessanter als die Steuerung ist in vielen Fällen aber die Kontrolle oder Überwachung. Dies kann eine aktive Tätigkeit sein, also z.B. statistische Auswertungen anzusehen, wie den Stromverbrauch oder aktuelle Wetterdaten. Auch der Fernzugriff auf eine Webcam mag dem einen oder anderen ein gewisses Gefühl von Sicherheit geben. Weit weniger relevant als landläufig angenommen ist die Möglichkeit, nachzuschauen, ob man evtl. versehentlich das Bügeleisen angelassen oder ein Fenster offen gelassen hat. Wenn der Nutzer darüber nachdenken und dies aktiv nachprüfen muss, ist es mit der Smartness des Heims nicht weit her. Viel eher muss dieses in solchen Situationen selbst aktiv werden und den Nutzer benachrichtigen - womit wir bei der “passiven” Überwachung wären, den Benachrichtigungen oder Notifizierungen. Hierbei können Sensoren im Haus ihre Stärke ausspielen: Sind Stromverbraucher an, die nicht an sein sollten? Hat es an der Tür geklingelt? Hat jemand etwas in den Briefkasten geworfen? Hat ein Rauchmelder Alarm ausgelöst? Ist die Waschmaschine im Keller fertig und ich habe sie nicht gehört? Fängt es an zu regnen und mein Dachfenster ist noch geöffnet? All dies sind Informationen, die als Benachrichtigung dem Nutzer echten Mehrwert bieten. Mit der Einbeziehung von Fensterkontakten und Bewegungsmeldern lassen sich sogar einfache Alarmanlagen realisieren - wobei man diese natürlich nicht mit professionellen, VdS-zertifizierten Systemen vergleichen darf. Ist man unterwegs, so sind Notifizierungen auf das Smartphone das Mittel der Wahl. Vor Ort gibt es aber bessere Alternativen: Den Stromverbrauch kann man beispielsweise mit einer “Stromampel” visualisieren (Abb. 3), den einsetzenden Regen hingegen per Sprachausgabe auf dem Multiroom-Audiosystem kundtun.

Abb. 3: Eine Energieampel kann den aktuellen Stromverbrauch visualisieren.
Abb. 3: Eine Energieampel kann den aktuellen Stromverbrauch visualisieren.

Automatisierung

Wirklich smart wird es aber natürlich erst, wenn das Haus automatisch Aktionen ausführt. Dazu benötigt es neben der Sensorik die Kombination mit der Aktorik. Wozu mich darüber informieren, dass ich das Bügeleisen vergessen habe abzuschalten und darauf warten, dass ich das nach der Benachrichtigung tue? Soll das Haus doch einfach selbst die Steckdose abschalten und niemanden damit belästigen. Ist das Dachfenster elektrisch steuerbar, so kann es bei Regen automatisch geschlossen werden. Sind die Rollläden elektrisch, können diese bei Dämmerung heruntergefahren werden und im Sommer kann zusätzlich sogar eine Beschattungsautomatik ein zu starkes Aufheizen verhindern. Für viele solcher Anwendungsfälle lassen sich Regeln formulieren. Welche relevant sind und wie diese genau ausgeprägt sein müssen, ist üblicherweise individuell sehr unterschiedlich. In eine Beschattungsautomatik muss beispielsweise die genaue Lage und Ausrichtung der Räume und Fenster eingehen und ist daher nicht einfach von einem Haus auf ein anderes übertragbar. Auch die Frage, welche Steckdosen in einem “All-off”-Szenario beim Verlassen des Hauses berücksichtigt werden sollen, muss der Bewohner individuell für sich entscheiden - ansonsten kann schnell auch der Kühlschrank davon betroffen sein. Leider werden solche Regeln auch schnell komplex, insbesondere, wenn sie sich gegenseitig bedingen oder fallweise ausschließen. Bei größeren Installationen bedeutet “Automatisierungsregeln erstellen” nichts anderes als zu Programmieren, was den Otto-Normal-Verbraucher schnell überfordert und daher oft von Fachleuten übernommen wird. . Auch ist das Tooling selten auf die Bedürfnisse der Benutzer sondern vielmehr der Installateure zugeschnitten. Leider führte das in der Vergangenheit auch dazu, dass sich Heimautomatisierung im Wesentlichen nur auf den Luxus- bzw. den Bastlerbereich beschränkt hat. Der Einsatz von Automatisierungsregeln bedeutet also immer einen Kompromiss: Das System soll zum einen möglichst autark und selbstständig funktionieren, zum anderen sollen aber die Logiken nicht so kompex werden, dass sie kaum noch zu durchblicken sind. Letzteres gilt nicht nur für den “Administrator” (also technisch-versierten Nutzer, der das System aufsetzt), sondern auch für jeden anderen Bewohner: Wenn plötzlich Dinge passieren, die unerwartet sind (und damit nicht verstanden werden), sinkt die Akzeptanz schnell - gerade bei den rudimentären Funktionalitäten, wie Licht, Beschattung und Heizung sollte das Heim nicht versuchen, deutlich schlauer als seine Bewohner zu sein. Es gilt die Devise: Lieber zu wenig Automatisierung als zu viel. Die allerwichtigste Regel bei der Automatisierung ist aber das bekannte Sprichwort: “Die beste Automatik ist die, die sich abschalten lässt”. Es gibt einfach unzählige Situationen, in denen eine Regel einfach gerade nicht passt - der Nutzer sollte jederzeit eine einfache Möglichkeit haben, diese zu überstimmen, ansonsten stellt sich sehr schnell Frustration ein. Uns wurden schon Fälle berichtet, in denen Nutzer Sensoren per Schere außer Gefecht gesetzt haben; hier wurde ganz offensichtlich diese wichtige Regel nicht berücksichtigt.

Selbstlernende Algorithmen

Wenn das Definieren von Automatisierungsregeln so schwierig ist, kann man es dann nicht einfach komplett vermeiden? Versprechen nicht gerade aktuelle cloud-basierte Produkte ein selbstlernendes Verhalten auf Basis von Big Data? Allen voran ist sicher das selbstlernende Nest-Thermostat (Abb. 4) von der Google-Tochter NestLabs zu nennen, welches mit dem Slogan “Programs itself” beworben wird.

Abb. 4: Das selbstlernende Nest-Thermostat
Abb. 4: Das selbstlernende Nest-Thermostat

Das sind tolle Verheißungen, denen man bei seiner Kaufentscheidung nur zu gerne nachgibt - auch wenn man tief im Inneren eigentlich Zweifel hegt. Im Grunde genommen ist die Klimasteuerung ein gutes Ziel für die Industrie, erste Erfahrungen mit selbstlernenden Smart-Home-Produkten zu sammeln: Heizungs- und Klimaanlagen sind üblicherweise etwas träge, d.h. eine Fehlentscheidung fällt nicht sofort auf, sondern kann in einer gewissen Zeitspanne für den Nutzer unbemerkt wieder korrigiert werden. Bei Beschattungs- oder Lichtsteuerung fällt hingegen jedes Steuerkommando sofort auf. Was vom intelligenten Thermostat in der Praxis jedoch ankommt, lässt sich an zahlreichen Rezensionen auf Amazon [1] sehr schön erkennen - meist wird das Design und die Haptik gelobt, die Algorithmen aber oft verflucht, insbesondere, wenn man sich im dicken Pullover der Technik ausgeliefert fühlt [2]. Man sollte sich hier von den Versprechen der Hersteller also nicht blenden lassen. Lernen heißt nunmal auch Fehler machen und wie bei Menschen, werden auch Geräte im Laufe der Zeit lernresistent. Das ist natürlich ein gewünschter Effekt, denn anfangs verzeiht man Fehler noch und duldet eine Phase des gegenseitigen Kennenlernens. Nach einer Weile sollte aber das Erlernte zum Wohle des Nutzers eingesetzt werden. Wenn aber das falsche erlernt wurde, lässt sich das oft nicht mehr korrigieren. Doch warum ist es so schwierig, gute Algorithmen zu finden? Kann man nicht darauf vertrauen, dass sich diese schnell weiterentwickeln und heutiges Verhalten bald als Kinderkrankheit aus der Frühzeit des Smart-Home-Zeitalters betrachtet wird? So einfach ist es leider nicht. Das Problem ist, dass die Situationen so unterschiedlich sind und diese für eine “korrekte” Reaktion zielsicher erkannt werden müssen, was durch die Geräte einfach nicht geleistet werden kann. Also braucht es mehr Sensoren, die den Algorithmen mehr Input liefern, möchte man meinen. Doch egal, wie weit man dies treibt, die zuverlässige Erkennung von Absichten (und damit gewissermaßen eine Zukunftsvorhersage) scheint außer Reichweite zu liegen. Scott Jenson hat dieses Problem sehr schön in einem Blogpost veranschaulicht [3]. Er klassifiziert diese Aufgabe als ein EasyHard-Problem, also etwas, was auf den ersten Blick sehr einfach erscheint, sich bei näherer Betrachtung aber als quasi unlösbare Aufgabe entpuppt.

Ein weiteres Problem bei vielen smarten Produkten ist es, dass deren Hersteller auf die Cloud und Big Data setzen. Den Kunden lässt sich erzählen, dass mit ihren Daten ihr persönliches Erlebnis bestens optimiert werden kann, nebenbei zählen die Daten aber auch als das Gold des digitalen Zeitalters und so lassen sich diese prima an Versicherungen, Energiekonzerne, Regierungen oder sonstige interessierte Parteien verkaufen. Gerade Google ist für dieses Geschäftsmodell bekannt und so ist es wenig überraschend, dass dies bei der Smart-Home-Tochter NestLabs kaum anders zu sein scheint [4].

Damit wir aber die Kontrolle behalten und bestimmen, was unser Smart Home macht und was es und andere über uns wissen, werden wir uns im nächsten Artikel eingehend mit den Themen Sicherheit und Datenschutz beschäftigen.

Referenzen

  1. http://www.amazon.com/Nest-T200577-Generation-Learning-Thermostat/product-reviews/B009GDHYPQ/  ↩

  2. http://www.experientia.com/blog/im-divorcing-my-nest-thermostat/  ↩

  3. http://radar.oreilly.com/2014/02/the-home-automation-paradox.html  ↩

  4. http://upon2020.com/blog/2015/01/nest-responds-to-my-privacy-questions/  ↩