Transcript

Technologiemonster

Welche Konsequenzen hat unser Handeln?

In dieser Folge wird es deep. Lucas und Robert genehmigen sich eine Tasse Kaffee und stellen sich die großen Fragen. Versuchen wir als Menschen, die im Technologiesektor arbeiten, Entropie zu bändigen? Weil uns diese unbequem erscheint oder weil es einfach so schön bequem ist in selbstgewählten Räumen, die es vielleicht gar nicht gibt und die nicht die Wirklichkeit und die echte Gesellschaft abbilden? Schaffen wir uns Kuschelzonen, in denen wir nicht viel reflektieren müssen? In denen die Welt eigentlich eine einfachere ist, als sie es tatsächlich ist? Schaffen wir dort Lösungen für Menschen und Probleme, die es schlimmstenfalls gar nicht gibt?

Back to episode

Transcript

Lucas Dohmen:

Hallo und herzlich Willkommen zu einer neuen Folge des INNOQ Podcasts. Heute habe ich mir den Robert eingeladen. Hallo Robert!

Robert Glaser:

Hi Lucas!

Lucas Dohmen:

Wie der Robert schonmal sagte ist das ja quasi das Treffen der beiden großen Podcaster von INNOQ. Aber heute haben wir mal die Rollen getauscht, denn heute werde ich mal den Robert so ein bisschen befragen. Und wir haben uns als Thema die neue Edition von INNOQ ausgesucht und aber, das Thema wird auch noch ein bisschen über das hinausgehen glaube ich. Aber erstmal: Was trinkst du eigentlich heute so zu deinem Podcast? Hast du einen leckeren Kaffee eingeschenkt?

Robert Glaser:

Du, ich habe meinen Kaffee schon hinter mir. Ich habe gerade ein köstliches Glas Berliner Leitungswasser hier im Glas. Ein Glas im Glas. Und es kommt natürlich wieder zum… lass uns bitte nicht Treffen der Giganten sagen oder Treffen der großen Moderatoren, da kriege ich die Krätze.

Lucas Dohmen:

Wir sind ja auch beide nicht so groß, ne?

Robert Glaser:

Aber ja wir treffen uns als Moderatoren hier wieder. Vielleicht sollten wir mal eine Folge nur mit unseren ganzen moderierenden Menschen machen: Lisa, Hanna, Sven, Martin. Was machen wir denn da? Moderieren wir uns dann einfach alle selbst?

Lucas Dohmen:

Ja, genau. Dann trägt niemand was bei, alle sind nur am Moderieren. Das wäre auch eine Option.

Robert Glaser:

Wäre doch auch mal schön! Aber ich hatte gerade einen Kaffee, wie ich schon gesagt hatte und heute mal aus Uganda. Hatte ich noch nie. Er war ein natural roast von einem großen italienischen Röster. War sehr gut, aber auch sehr laut. Das ist oft bei so naturals finde ich der Fall. Was hast du denn überhaupt in der Tasse heute?

Lucas Dohmen:

Ich trinke heute einen aus Ecuador und interessant fand ich in der Beschreibung, dass die das Fruchtfleisch länger and der Bohne lassen und dadurch gibt das eine gewisse Süße. Und das ist wirklich interessant, also ein wirklich interessantes Mundgefühl diese Tasse. Finde ich echt gut! Würde ich wieder trinken!

Robert Glaser:

Das ist wahrscheinlich so ein honey fermenting, ne? Wo man das länger dranlässt?

Lucas Dohmen:

Genau! Hatte ich tatsächlich auch noch nie probiert, also zumindest nicht bewusst. Finde ich echt gut!

Robert Glaser:

Cool. Ja, dann lass dir schmecken!

Lucas Dohmen:

Ja, ich lass es mir auf jeden Fall schmecken! Aber trotzdem haben wir heute ein bisschen was zu besprechen. Und zwar erstmal: Was ist eigentlich eine Edition? Also was soll das überhaupt bedeuten? Warum hat INNOQ eine Edition?

Robert Glaser:

Gute Frage! Vielleicht muss man kurz die Menschen, die uns zuhören so ein bisschen abholen. Erstmal die Ängste nehmen, es geht heute nur ganz, ganz, ganz, ganz kurz um Marketing, um niemanden von euch zu langweilen. Wir wären glaube ich auch selber davon gelangweilt, oder?

Lucas Dohmen:

Ja!

Robert Glaser:

Falls ihr es noch nicht gesehen habt oder gehört habt, oder was auch immer, vielleicht seht ihr es sogar in euren Podcast Player: Es gibt hier ein neues Cover-Artwork für unsere Folgen und die Kanäle. Habt ihr bestimmt gesehen. Und wenn ihr schon länger zuhört ist euch vielleicht aufgefallen, dass das neue Farben sind. Wir hatten ja vorher so ein blau und ein rot und jetzt haben wir Aprikose und Petrol, wie wir es liebevoll getauft haben. Es gibt sogar eine interne Verschwörungstheorie, dass das einem Drink nachempfunden wurde, den eine liebe Kollegin von uns Apripetrol nennt. Aber es… ja, ich weiß nie, ob sich diese Verschwörungstheorie bewahrheitet hat. Wie auch immer, Editionen sind einfach Iterationen, wie wir das vielleicht auch aus der agilen Entwicklung kennen, unserer Marke. Und das bedeutet in der Kurzfassung eigentlich nur: Wir wollen nicht ewig in unserem Corporate Design mit den gleichen Farben, den gleichen Visuals unsere Kunden, unsere Kundinnen und uns selbst langweilen, sondern wir wollen da öfter mal verändern, weil wir uns ja irgendwie auch verändern. Und das muss ja irgendwie zu uns passen und weil wir uns ja alle verändern, immer mehr und hoffentlich auch immer mehr, sollte das Außenauftreten ja auch irgendwie Schritthalten. Und was man da typischerweise so kennt, was viele Firmen und Unternehmen und Konzerne so tun, ist dann: Alle 10 Jahre gibt es mal ein neues Logo, neue Farben, neue Visuals, neue Typographie, alles neu. So ein relativ schwerfälliges Neuauftreten, was wahrscheinlich auch Unsummen verschlingt. Und wir haben damals, als wir uns das Editionskonzept ausgedacht haben, mit unserer Partneragentur die firma aus Wiesbaden, haben wir gedacht: Das passt irgendwie nicht zu uns, aber wir wollen uns trotzdem öfters mal verändern. Aber so, dass uns vielleicht hoffentlich noch alle wiedererkennen und deswegen haben wir diese sogenannten Editionen, was eigentlich Iterationen sind. In denen ändern wir eigentlich nur ein paar Dinge, nämlich unsere Hauptfarben und unsere Visuals. Und das ist im Kurzen eine Edition.

Lucas Dohmen:

Okay. Alles klar! Und aber irgendwie gibt es mit diesen Editionen ja noch einen Zusammenhang mit Kunst. Also wir haben ja in der ersten Edition schon mit einem Künstler zusammengearbeitet…

Robert Glaser:

Dem Matthew.

Lucas Dohmen]:

Und jetzt arbeiten wir mit einem anderen Künstlerkollektiv, glaube ich, zusammen. Was ist die Verbindung von INNOQ zu Kunst? Warum machen wir das?

Robert Glaser:

Ist auch wieder eine gute Frage. So viele gute Fragen heute, Lucas! Aber du stellst ja immer gute Fragen! Genau, also Teil dieses Editions-Konzepts sind wie gesagt auch die Visuals, nicht nur die Farben, die Primärfarben. Und was sind Visuals? Also wir haben jetzt und viele andere machen das ja auch, visuelle Medien, also Bilder, Fotos, was auch immer, um Artikel, Flyer, Poster, Messestände zu illustrieren und so ein bisschen spannender zu machen. Da gibt es halt verschiedene Mittel, wie man sich, wie man zu Visuals kommt, ne? Ein Mittel, was wir nicht wählen wollten, waren irgendwie, weiß ich nicht, freie oder kostenpflichtige Stockfotos mit Businesskaspermännern, die in Anzügen auf Flugzeugflügeln stehen und wo die Krawatten wehen, um irgendwelche Business-Themen zu illustrieren. Hätte ich persönlich auch langweilig gefunden oder hättest du das gut gefunden?

Lucas Dohmen:

Ne, auf keinen Fall!

Robert Glaser:

Okay. Da haben wir uns gedacht, es gibt halt auch super… ich wollte jetzt nicht Stockfotografie abschätzend bewerten, es gibt super, super ästhetische Stockfotografen und -fotografinnen. Wir nutzen ja selbst auch immer mal wieder vielen, um Artikel und Blogposts zu illustrieren, wenn es denn hoffentlich passt. Aber wir haben irgendwie ein visual Medium gesucht, womit wir unser Auftreten so illustrieren können, was vielleicht alle zwei Jahre mit diesen Editionen auch mal wechselt und was irgendwie ein bisschen spannender ist. Also manchmal macht ein Stockfoto ja absolut Sinn, irgendwie wenn es um Architektur geht, dann kann ich schön so ästhetische Gebäude Fotografien zeigen, da durch… diese Analogie kriegt jeder Kopf hin. Das macht es vielleicht auch ein bisschen spannender. Aber wenn wir eben als Marke selbst auftreten und vielleicht Kerne unserer Marke zeigen wollen, wie was tun wir eigentlich so? Was haben wir für eine Kultur? Welche Menschen arbeiten bei uns? Welche Leistungen bieten wir an? Da brauchen wir irgendwie ein andersartiges Bildmaterial und deswegen haben wir uns für die Medienkunst entschieden. Und dieses Editionskonzept sieht vor, dass wir in jeder Edition mit einem anderen Künstler oder mit einer anderen Künstlerin zusammenarbeiten und mit diesen zusammen ein Werk versuchen zu schaffen. Das hat jetzt zweimal gut geklappt, weil wir jeweils auf Künstler oder Kollektive oder auch Firmen wie jetzt Waltz Binaire getroffen sind, die etwas vorhatten und wir uns da auch technologisch oder technisch dran beteiligten konnten, so dass wir zusammen etwas erschaffen haben. Und was man jetzt sieht ist quasi die zweite Edition mit dem Werk ‚NEUROEVOLUTIONARY TRAILS‘.

Lucas Dohmen:

Sehr cool! Ja, ich hatte damals ja mit Simon zusammen einen Podcast aufgenommen zu der ersten Edition. Da war ja so ein bisschen die Inspiration ‚Informationsflüsse und wie wir mit Informationen umgehen‘, das ist ja dann das Projekt ‚Tower‘ oder Towwwwwwer oder wie auch immer man das aussprechen mag, draus geworden. Wer sich dafür interessiert, das ist die Folge 52 gewesen. Diesmal haben wir ja irgendwie ein ganz anderes Thema gewählt. Es geht nicht um Informationsflüsse, sondern es geht irgendwie um künstliche Intelligenz, ist das richtig? Geht es um Entropie? Was ist das Thema, was hinter dem aktuellen Kunstwerk steht?

Robert Glaser:

Ja, kurz gesagt… Also du hast es richtig beim Tower, beim ersten Kunstwerk ging es um Informationsflüsse, aber vor allem auch die Informationsflut im Internet-Zeitalter und jetzt in der zweiten Edition geht es eigentlich um die Fragen, die uns viel mehr bewegen und umtreiben sollten. Also mit wir meine ich alle Menschen, die wir so in der IT arbeiten, die ja auch immer wichtiger wird. Nämlich welche Auswirkungen hat eigentlich unser Handeln? Welche Spuren hinterlassen wir mit Technologie in unserem Alltag, in unseren Projekten? Diese Fragen, darum geht es. Und künstliche Intelligenz war eben… ist eine Teilfacette davon. Also das ist natürlich sehr anschaulich, da wird ja auch gerade in der Gesellschaft viel drüber diskutiert. Wenn wir künstliche Intelligenz verwenden, dann ist das natürlich, liegt das sehr auf der Hand, dass das Konsequenzen hat und die werden ja leider, oder Gottseidank kann man auch sagen, immer mehr ersichtlich. Also das wir da Dinge bewirken, wo wir nach ein paar Jahren erst sehen: Oh Gott, das wollte niemand. Wir haben vielleicht nicht genügend nachgedacht oder wir konnten nicht abschätzen. Und um diese Fragen geht es in dieser Edition.

Lucas Dohmen:

Okay, das ist ich meine schon eine sehr große Frage. Wie ist es denn… Also wie ist es denn dazu gekommen? Also wer hatte die Idee für dieses Kunstwerk? War das INNOQ oder war das der Künstler oder die Künstlerin? Und wie kommt dann so eine Kooperation zustande zwischen so einer IT-Beratungsfirma und einer Kunstfirma?

Robert Glaser:

Ja, der Kontakt zu Waltz Binaire kam tatsächlich über einen Bekannten von uns. Lieber Julian, falls du uns zuhörst, fühl dich gegrüßt, von der Firma Retune zustande. Und Retune macht einmal im Jahr so ein großes Festival in Berlin, das Retune Festival und die kennen wahnsinnig viele junge Künstler:innen, die spannende neue Sachen machen. Also viel auch mit Technologie, ich glaube das Festival konnte letztes Jahr leider natürlich nicht mehr in echt stattfinden, aber hoffentlich gibt es das dieses Jahr oder nächstes Jahr wieder. Wie auch immer, der Julian hat uns dann den Kontakt zu Waltz Binaire hergestellt.

Lucas Dohmen:

Okay. Und Waltz Binaire, haben die die Idee miteingebracht oder haben wir die eingebracht? Wie ist das passiert?

Robert Glaser:

Tatsächlich wollten die bei Waltz Binaire schon länger was machen. Also Waltz Binaire, ich hole ein bisschen aus, beschäftigt sich gerade wahnsinnig viel und sind da auch Vorreiter in dem Thema ‚Kunst mit künstlicher Intelligenz‘. Also die machen da sehr viel in dem Bereich und sie wollten sich schon länger mit dem Thema befassen eine Bewegung zu lernen. Also und das vielleicht cool zu visualisieren. Und da gibt es halt wahnsinnig viele KI-Modelle, die man für sowas nehmen kann. Also mittlerweile ist ja KI auch so ein bisschen Commodity geworden. Also überspitzt formuliert: Es gibt Dinge, die kann man nehmen und lässt dann was laufen und dann kommt was raus, man muss da gar nicht mehr wahnsinnig viel neu erfinden. Deswegen gibt es auch für das Thema ‚Bewegung lernen‘ oder ‚Bewegung‘ auch verschiedene Modelle, die eben bestimmte Körper simulieren können. Da gibt es von… Das eine Ende der Skala ist wahrscheinlich Figuren, die humanoid wirken, also menschenähnlich und aber natürlich nicht wahnsinnig detailliert simuliert sind. So ein bisschen Holzpuppen-artig, nicht viele Gelenke und nicht viele Gliedmaßen. Und am anderen Ende der Skala gibt es Modelle, die tatsächlich auch für Operationsroboter oder Operationssimulierungen verwendet werden in medizinischen Bereichen und da muss eine humanoide Figur natürlich sehr viel… also eigentlich exakt abgebildet werden. Mit all ihren Muskelsträngen, Gelenken, Gliedmaßen, Muskelkontraktionsbewegungen und so weiter. Und damit hätten wir gerne natürlich eine wahnsinnig krasse Figur mit möglichst echten Bewegungen, ein Aufstehen und ein Laufen lernen lassen. Hat sich aber relativ schnell rausgestellt, dass dieses Ziel, was wir ganz am Anfang hatten, natürlich wahnsinnig teuer wird. Weil dieses Model ist natürlich im Rechenaufwand sehr viel umfänglicher und damit auch ganz einfach teurer als ein einfacheres Model Richtung Holzpuppe. Und wie das immer so schön ist bei so Vorhaben, am Ende bewegt man sich dann doch irgendwie eher so zick-zack mäßig Richtung Ziel und wirft Dinge über den Haufen unterwegs. Und entdeckt dann auch, dass manchmal der Reiz ja in der Einfachheit liegt. Also wir hätten natürlich große Ressourcen verbrennen können in dem Vorhaben da jetzt irgendwie die möglichst detaillierte und realistische Figur etwas lernen zu lassen und auch cool zu visualisieren, aber unterwegs war eben nicht mehr nur die Ressourcenfrage entscheidend, sondern auch die Fragestellungen, die erst dabei passiert sind, wenn man sich damit eigentlich beschäftigt. Und deswegen haben wir uns eigentlich im Verlauf dann doch für ein einfacheres Modell entschieden, weil wir das, was da eben bei rauskam, viel interessanter fanden, um uns Fragen zu stellen und mit Kunst… Kunst ist ja eigentlich ein super Medium, um sich Fragen zu stellen und nicht um Dinge einfach möglichst ästhetisch und möglichst realistisch zu simulieren, darum geht es ja oft gar nicht.

Lucas Dohmen:

Ja, aber war dann schon die Idee quasi jetzt gegenüberzustellen… Also wenn ich mit jemanden rede, der von Technik wenig Ahnung hat, dann Machine Learning erwähne, dann versucht man ja irgendwie im Kopf das miteinander zu vergleichen: Wie lernt ein Mensch und wie lernt eine Maschine? Und war dann so ein bisschen die Idee zu sagen: Okay, wie lernt ein Mensch zu laufen und wie lernt eine Maschine zu laufen? Ist das so die Idee? Oder verstehe ich das falsch?

Robert Glaser:

Ja, so ein bisschen. Also im Bereich künstliche Intelligenz und Machine Learning, ich bin da auch kein super-duper Experte für das Thema, aber es gibt da verschiedenste Wege und eben Modelle, wie so ein Lernprozess passieren kann. Und wir haben uns für das sogenannte Reinforcement Learning entschieden. Dabei geht es kurz gesagt drum: Versuche eben ein Ziel zu erreichen mit dem was du kannst oder was du kennst. Und das Modell, das wir verwendet haben, war dann eben ein einfacheres Modell mit einfacheren Geometriedaten. Nicht dieses, wo ein Arm in jeder Faser genau simuliert wird, sondern eher Richtung Holzpuppe. Und die Figur, die wir da gebaut haben, die lag am Anfang auf dem Boden. Dann haben wir in einen, ja, dreidimensionalen Raum einen Zielpunkt gesetzt. Erstmal war es ein Ball. Die Figur sollte diesen Ball dann an ein Ziel rollen. Das hat aber so ein bisschen diese Sisyphus-Analogie und du kennst die Geschichte bestimmt auch, irgendwie verbindet man damit nicht so viel Gutes und die Story wäre auch irgendwie nicht so toll gewesen. Deswegen sind wir dann in der zweiten Iteration dazu übergegangen: Komm, rolle jetzt keinen Felsen vor dir her und scheitere dabei dauernd, sondern versuch halt mal ein Ziel zu erreichen. Also wie in der Softwareentwicklung eigentlich. Baue etwas, was idealerweise ein Problem löst. Ja und dann ist die Figur eben mit dem was sie kannte und ja, kennen gelernt hat, das ist in dem Modell hinterlegt, was wir verwendet haben, hat sie eben versucht dahinzulaufen. Am Anfang konnte sie halt nicht… ja?

Lucas Dohmen:

Wie muss ich mir das vorstellen? Also wusste die Figur wie sie den Arm strecken kann oder die Beine strecken kann? Oder musste sie das auch noch lernen? Also wie viel wusste sie über sich selbst quasi?

Robert Glaser:

Ja, ich glaube sie wusste, was sie so hatte. Sie hat Arme, sie hat Beine und einen Torso, an dem die Dinger hängen. Viel mehr wusste sie aber auch nicht, weil sonst wäre der Lernprozess ja nicht interessant gewesen. Wenn das Modell schon so weit gewesen wäre, dass es weiß, was Laufen ist als Konzept, dann wäre das Ziel relativ schnell erreicht gewesen. Grob gesagt wusste dieses Modell nur über seine physische Beschaffenheit. Also an einem hängen vier Gliedmaßen, zwei davon sind Beine und zwei davon sind Arme. Und ich habe auch noch einen Kopf. Und das ist auch so ein bisschen entscheidend für die Gewichtsverteilung. Ja und das sah dann so aus, dass die Figur am Anfang wie so ein Haufen von Gliedmaßen auf dem Boden lag und musste dann zum Ziel, was ein bisschen weiter entfernt war. Und dann siehst du halt so, wenn du dir das anguckst… Man sieht auf unserer Website, wir können das auch nochmal in den Shownotes verlinken, haben wir noch so ein Rendering dazu, da sieht man so taumel-Bewegungen. Ganz am Anfang war das eher so ein Horrorfilmartiges Kriechen und irgendwann wurde es doch zu einer Aufstehbewegung. Und wir wissen ja alle, evolutionär können wir noch gar nicht so lange aufrecht laufen und das hat man dann im Zeitraffer bei dieser Figur auch so ein bisschen gesehen. Die hat sich eher erstmal mit so Kriechen, Schleppen, Gewichten nach vorne Richtung Ziel versucht zu bewegen, hat dann aber tatsächlich auch im Lernprozess gemerkt, das geht irgendwie schneller. Also versuche ich mal mich aufzurichten und ist dann eher so etappenweise nach vorne gefallen und immer wieder aufgestanden. Aber selbst das ging schon schneller als Kriechen. Und dann… Ja, ich spule jetzt mal so ein bisschen vor in der Entwicklung. Irgendwann wurde es halt sowas Laufartiges und das Ziel wurde damit dann irgendwann erreicht, auch wenn das nie ein evolutionär hochgradig ästhetischer Gang wie von einem Menschen, der irgendwie Ballett tanzt, war. Ja und so hat die Figur dann irgendwann ihr Ziel erreicht.

Lucas Dohmen]:

Okay, also… Wir hatten also am Anfang diese Figur und sie hat versucht irgendwie ihr Ziel zu erreichen. Wenn ich aber jetzt irgendwie auf die Visuals gucke, dann sehe ich etwas ganz, ganz anderes. Wo ist die Verbindung zwischen dieser Strichmännchen-Figur zu diesen Kunstwerken, die weiter unten auch in diesem Artikel zum Beispiel gezeigt werden. Da sehe ich irgendwie so ein blaues Tuch, was in der Luft beispielsweise. Was ist die Verbindung zu der Figur?

Robert Glaser:

Ja, kriegt man erstmal so gar nicht zusammen, ist ein bisschen sehr abstrakt. Absolut richtig! Also was man in dem eigentlichen, ja Endprodukt will ich das jetzt nicht nennen, Werk sieht… Ich will auch gar nicht so darauf rumreiten, dass das jetzt Kunst ist. Kunst liegt ja auch im Auge der Betrachter immer so ein bisschen. Aber ich sage einfach mal in dem Werk. Was das Endprodukt, das Endwerk ist eigentlich ein Video. Das kann man sich bei uns angucken, wir verlinken das hier unten drunter auch nochmal. Und viel von einer Figur, die die Bewegungsszenen aus der Bewegung, die man dann sieht, sieht man da gar nicht. Deswegen ist das mit Sicherheit so ein bisschen abstrakter und das ist der Tatsache geschuldet, dass wir bedingt durch das einfachere Modell halt auch nicht so viele Geometriedaten hatten. Also wir waren auf der Skala eher Richtung Holzpuppe und da entstehen halt einfach nicht so viele Geometriepunkte, wenn die sich durch einen virtuellen Raum bewegt, als wäre das das super detaillierte, medizinisch korrekte, humanoide Modell mit all den Fingern und Fingernägeln und Ellbogenverkrümmung gewesen. Sondern wir hatten eher wenig Geometriedaten. Das war dann auch eine Herausforderung in der Mitte des Projektes, dass wir die nicht so visualisieren konnten, wie wir eigentlich am Anfang wollten. Und da entstand eigentlich erst auch diese Geschichte. Also was tun wir hier eigentlich? Was war mal unser Ziel? Und was haben wir jetzt… Was verursachen wir hier eigentlich? Und wir haben uns dann dazu entschieden, dass es hoffentlich… also wir hoffen das, spannender ist das nicht einfach plakativ zu zeigen, was da passiert, was da gelernt wird. Sondern, um eben auch diese Frage zu reflektieren: Was machen wir eigentlich so den ganzen Tag? Was hat das in zwei Jahren für Konsequenzen für Menschen, die unsere Software benutzen? Haben wir dann gesagt, wir zeigen nur die Effekte oder die Überreste oder die Abbildungen oder die Spuren dieser Bewegung in einer Umgebung. Das muss nicht die Natur sein, das ist kein Wald, wir haben uns da für Materialien entschieden. Und wir haben uns genauer gesagt für drei Materialien aus der echten Welt entschieden. Einmal dieses Tuch, was du bereits erwähnt hast. Da sind man dann in dem Video ein Tuch wabern. Wenn man ganz genau hinguckt und die Story vielleicht jetzt auch gehört hat, sieht man schon vielleicht immer mal wieder einen Ellenbogen oder eine Schulter, die durch dieses Tuch streift. Und die zwei anderen Materialien waren eben die sogenannten Splines und die, ja, die Topografie. Mit der Topografie das sieht oft auch… erinnert so ein bisschen an Fußabdrücke im Sand. Die Margot Hofmans, die das umgesetzt hat für Waltz Binaire für uns, erzählt es auch in dem Making-of so ein bisschen, es erinnert wirklich an Fußabdrücke im Sand. Und das sind auch so ein bisschen Überreste dieser Bewegung und die Splines sind quasi wie so Fäden oder Kabel, die Teile der Figur umfließen. Manchmal sieht man so eine Kopfpartie und einmal in der Mitte… wir dürfen ja jetzt hier spoilern, oder? Sieht man auch mal die Figur. Genau, das sind quasi die drei Materialien. Da haben wir uns so ein bisschen von Dingen aus der Natur, wie es sie in echt gibt, inspirieren lassen und zeigen mit diesen drei Materialien Spuren der Bewegung und technisch dann der Geometriedaten der Figur in ihrer Umgebung.

Lucas Dohmen:

Ja. Ich finde es auch deswegen interessant, weil irgendwie ist das ja auch so ein bisschen so wie bei unserer Arbeit. Wenn man jetzt… Die Figur ist ja quasi der Code, den wir schreiben und wir konzentrieren uns am Anfang immer total darauf, dass der ästhetisch ist, dass der vielleicht besondere Patterns erfüllt und so weiter und so fort, aber schlussendlich das worauf es ankommt, ist eigentlich die Spuren, die der Code hinterlässt. Also das was wir mitbekommen, wenn wir von außen das betrachten. Also finde ich irgendwie spiegelt das schon so ein bisschen unsere Arbeit wider, diese Figur und auch euer Lernprozess. Am Anfang dieser große Fokus auf die Figur, um später zu merken, dass die Figur vielleicht eigentlich gar nicht das ist worum es geht.

Robert Glaser:

Also wir hätten mit Sicherheit auch etwas super Ästhetisches hinbekommen, hätten wir dieses super detaillierte Modell benutzt, das ist nicht die Frage. Aber wie du das schon sagtest, wir fanden es schön… Also wir mussten es ja tatsächlich selber auch so machen, wir mussten einfach bei der Hälfte des Projektes mal zwei Schritte zurücktreten, vielleicht auch mal drei oder vier und einfach mal ein bisschen reflektieren. Da viel uns dann auf, dass wir das… Also wir kennen das ja alle, im Eifer des Gefechtes vergisst man sowas oft einfach mal oder man bleibt zu sehr in der Sache, will zu viel liefern, zu viel produzieren. Aber was zählt ist ja gar nicht dieser hohe und konstante Output, um jetzt mal die Produktsprache zu bemühen, sondern der Outcome. Also was ist eigentlich das Ergebnis und der Mehrwert? Nur dass ich Tonnen von Features baue, mit was für Technologien auch immer, ist ja null deckungsgleich mit dem Wert, den ein Produkt hat für die Menschen, die das benutzen. Für viele ist ja vielleicht das Fehlen von Features, der macht ja den Wert eines Produktes aus. Für andere fehlt eben viel zu viel, also es hängt immer so ein bisschen von der Zielgruppe ab und als wir dann wirklich mal zwei Schritte zurückgetreten sind, um zu reflektieren, was tun wir hier eigentlich? Und führt das eigentlich noch dahin, wo wir mal hinwollten? Oder entsteht hier gerade etwas viel Interessanteres mit Mitteln und anderen Wegen? Also dieser konstante Hakenschlag im Projektverlauf, das war bei uns auch so ein bisschen der Fall.

Lucas Dohmen:

Ja, also ich finde das so interessant, weil ich auch, also persönlich so ästhetisch ansprechen tun mich am meisten die Splines. Die finde ich einfach… Also ich finde das ist einfach ein tolles Bild, ist wirklich schön. Es ist irgendwie interessant wie, wenn man… umso länger man draufschaut, umso mehr erkennt man halt doch die Verbindung zu dem Ursprung irgendwie. Bei den andren zwei fällt mir das viel schwerer diese Verbindung zu sehen zu der Figur, aber vielleicht fehlt mir auch einfach Fantasie, ich weiß nicht. Aber für mich ist das irgendwie so ein bisschen näher an dem dran, wo das herkommt.

Robert Glaser:

Ja, es ist mal sehr abstrakt und dann mal weniger abstrakt, aber das macht es irgendwie auch aus. Also hoffentlich ist es dann auch wirklich so interessant für viele, da vielleicht auch mal zweimal hinzugucken. Ich finde es, wie gesagt, sehr interessant. Nicht weil ich so selber dabei war, sondern eigentlich in den Fragen, die das Ding aufmacht. Weil wir hatten ja gerade kurz schon den Punkt tangiert mit eher sehr plakativ ist und gerade auch viel in unsere Branche zu diskutiert wird: KI und Machine Learning. Also um wieder die Frage unseres Kunstwerkes auf den Tisch zu bringen: Welche Spuren hinterlassen wir mit Technologie? Und da gibt es ja schlimme Dinge, die wir so anrichten können. Also von irgendwelchen Kredit-Rating Systemen, die auf Basis der letzten 20 Jahren Daten irgendwelche Ratings dann vergeben für Menschen, obwohl sich eine Gesellschaft ja heute anders anfühlt und anders ist als in den letzten 20 Jahren. Dann gibt es ja dieses Bias Problem, dass ja eben… Gesichtserkennung ist glaube ich so ein Thema, dass Gesichtserkennung für Menschen mit heller Hautfarbe eben wahnsinnig gut funktioniert, weil die Modelle einfach immer mit, ja, weißen Menschen gefüttert wurden. Also Bildern von weißen Menschen oder Menschen mit hellerer Hautfarbe. Aber für POC oder BPOC-Menschen eben null funktioniert oder sehr schlecht, weil das Modell die einfach nicht kannte. Und das ist einfach in der Repräsentanz in der Technologie unserer Gesellschaft, die fehlt an der Stelle komplett. Aber diese Fragen, die muss… Dafür ist ein Machine Learning, weil das eben so neu ist und schon so viel bewirkt und natürlich auch gewisser Weise Hype ist, bietet eben viele Möglichkeiten diese Fragen zu stellen. Aber das können wir ja auch viel mit ganz… viel einfacheren Technologien uns diese Fragen stellen.

Lucas Dohmen:

Ja, das stimmt. Ich finde es deswegen interessant, weil es ja an vielen Stellen auch so ist, dass die Wirkung, die die Technologie hat, also die nicht-gewünschte Wirkung, die vielleicht eine Technologie hat, oft ja viel, viel später erst eintritt oder erst bemerkt wird als der gewünschte Effekt. Weil wir, keine Ahnung, wir wollen, dass die Menschen sich schneller fortbewegen können, dann erfinden wir erstmal ein Auto. Dann ist ja dieser Effekt erfüllt. Also wir haben es geschafft, wir können die Menschen schneller von A nach B transportieren. Aber viel, viel später bemerken wir: Oh, wir verbrennen dabei irgendwelche Dinge und das ist irgendwie nicht so super für die Umwelt. Und der… Aber dieser Effekt, auch wenn er von Anfang an da ist, wird ja erst viel, viel später bemerkt. Und ich glaube, dass ist bei unseren Technologienentscheidungen oft in kleineren, viel kleineren Skalierung passiert das glaube ich auch, dass wir halt bestimmte Effekte, weil wir die halt wirklich wünschen, sehr früh bemerken und die Effekte, die vielleicht eher so nicht gewünscht sind, nicht so früh bemerkt haben. Weil wir nicht darauf schauen, vielleicht.

Robert Glaser:

Ja, ich unterteile das für mich bisher so ein bisschen in Schulden, in Haufen von Schulden. Klingt jetzt so super negativ, aber ich… Mir hilft es zum Beispiel im Alltag so kleine bis große Entscheidungen so ein bisschen einzuteilen. So technische Schulden kennen wir bestimmt alle, vielleicht machen wir da mal sogar eine Folge zu, ist eigentlich voll das spannende Thema. Also ich… Wir kennen es ja alle: Ich brauche in meinem Projekt irgendeine kleine Library, die mir… ja, weiß ich nicht… URL-konforme Strings aus irgendwelchen nicht-URL-konformen Strings generiert, sogenannte Slugs. Die ziehe ich mir mal schnell ins Projekt, weil das eben auch alles so einfach ist heute. npm add oder yarn add oder install oder was auch immer und dann ist das Ding drinnen. Ich kann damit mein Feature bauen und fertig. Aber alle dieser Mikro- oder Makro-Entscheidungen haben ja irgendwie, produzieren einfach Schulden und wir müssen einfachen versuchen, die immer möglichst klein zu halten. Und immer, wenn ich mir in meinen Projekten so eine Dependency hinzufüge, versuche ich es so ein bisschen die Folgen abzuwägen. Ist das Ding gut gewartet? Wie viel wiegt das eigentlich? Da guckt man ja auch irgendwie nie drauf. In diese kleine Dependency, die noch 30 Test-Libraries in den nodemodules vorher installiert und der Autor oder die Autorin hat vergessen irgendwelche Binär-Dateien aus dem Repository zu entfernen und dann geht dein Build kaputt, weil der Container full ist, blah, blah, blah. Also das kann ja unendliche Konsequenzen haben. Deswegen versuche ich immer in diesen… in Kategorien von Schulden zu denken. Und technische Schulden sind für mich das eine, aber ich habe mir auch angewöhnt so ein bisschen, ja, gesellschaftliche Schulen anzugewöhnen. Und die sind halt viel, viel schwerer abzuschätzen. Also wenn du am Anfang vom Projekt stehst und sollst eine Anwendung für einen Versicherungsrating bauen oder so, dann kann man ja nicht einfach mit einem: Lass mal ein Meeting machen und die gesellschaftlichen Schulden abschätzen. Das ist ja unmöglich, da wird auch wahrscheinlich nur Mist bei raus kommen. Aber man kann das glaube ich auf verschiedenen Wegen früh, mittendrin und spät tangieren. Man muss einfach von Anfang an, müssen alle wissen, dass es eben auch ein iterativer Prozess ist und man genauso dabeibleiben muss, wie bei der eigentlichen Softwareentwicklung. Also man muss im stetigen Verlauf auch immer wieder gucken: Okay, jetzt haben wir Ergebnisse, jetzt sind wir 2 Jahre im Projekt. Nicht wie sieht die Nutzer*innen Zufriedenheit aus, sondern vielleicht kann ich jetzt ja nochmal ein Review machen, was hätte das mit den Ergebnissen, die wir bis hierhin produziert haben, für gesellschaftliche Auswirkungen? Dass man das dann nochmal neu bewertet. Und es hilft natürlich, wenn man das nicht immer im eigenen Saft, im eigenen Team-Saft macht, sondern auch möglichst viele Leute dazu holt, die idealerweise sogar Bestandteil des Teams sind, die die Gesellschaft, wie sie eigentlich ist, auch abbilden. Das ist ja auch ein Problem, was wir in der IT so haben, dass wir… das Wort ist schon fast verbrannt, was irgendwie so schade ist, aber wir sind einfach viel zu undivers, weil wir speziell in der IT einfach nicht die Gesellschaft abbilden, wie sie ist. Und die Gesellschaft benutzt ja eben viele unserer Erzeugnisse, warum sollten unsere Teams denn nicht die eigentliche Nutzer:innenschaft so abbilden? Also der Vorteil liegt ja eigentlich auf der Hand. Das sind für mich so gesellschaftliche Schulden. Dann gibt es noch verschiedene andere Eimer von Schulden: Technische Schulden, gesellschaftliche Schulden, können wir uns mal überlegen, was es noch gibt. Aber in denen es sich lohnt vielleicht mal zu denken. Es soll einen nicht beschweren, wenn man jetzt jede Entscheidung immer auf die Goldwaage legt und alle Konsequenzen in Gesellschaft, Technik und was, versucht zu berücksichtigen, dann bewegt man sich wahrscheinlich auch null vom Fleck. Deswegen müsste man das irgendwie auch iterativ tun und das ist wieder dieser Hasen-Zickzack-Lauf durch das Projekt. Wo man an bestimmten Stellen vielleicht auch mal einfach zwei Schritte zurücktreten sollte und reflektieren sollte. Gerade wenn man Software schreibt, die viele Menschen irgendwie betrifft. Also die sortierbare Tabelle für eine Sachbearbeiter:in, die einfach nur, weiß ich nicht, Anträge weiterleiten muss, ist jetzt vielleicht nicht so relevant, aber irgendwie ein System was automatisiert Ratings vergibt, wo direkt dann auch Menschen betroffen sind, da ist das glaube ich schon wichtiger.

Lucas Dohmen:

Ja, ich meine jetzt, das gibt es ja auf ganz verschiedenen Ebenen. Also wenn man jetzt ein soziales Netzwerk baut und da ist jemand, der in einer Umgebung lebt, wo vielleicht Homosexualität nicht akzeptiert ist, und diese Person tritt einer Gruppe bei oder liket irgendetwas, oder wie auch immer und das wird bemerkt von der Umgebung, dann kann das halt sehr, sehr reale Konsequenzen für diese Person haben, wenn das passiert. Und darüber denken Techniker und Technikerinnen auch oft viel später nach, weil wir oft viel mehr an dieser Lösung interessiert sind, also an dem Umsetzen davon und nicht so sehr an dem Problem. Also wir… Das Problem ist meistens nicht nur das, was gestellt wurde. Also wir wollen irgendwie ein soziales Netzwerk aufbauen, das ist ein Problem, aber das bringt ja noch ganz viele verschiedene Dinge mit sich. Einmal: Welche Konsequenzen hat das für die Leute, wenn die Leute ihre Interessen kennen? Das kann sehr negative Konsequenzen haben. Aber es kann auch sein, dass die Leute sich entfremden, weil die… oder die Gesellschaft gespalten wird, weil wir halt zu sehr darauf setzen, dass die Leute nur in ihrem Interessenbereich sich bewegen und nicht so sehr rausschauen aus ihrem Interessenbereich. Und ich glaube wir merken an ganz vielen Stellen aktuell, dass dieses… dass wir nicht betrachten welche sozialen Auswirkungen etwas hat und wirklich großen Schaden zufügt, als Menschheit, als Demokratien, als was auch immer. Und ich glaube, wir fangen so langsam erst an zu bemerken an welchen Stellen das passiert und ich glaube da müssen wir vielleicht auch selbst bei einen kleinen Projekt vielleicht früher drüber nachdenken. Also egal, ob wir jetzt für eine Versicherung arbeiten, wo halt ein Algorithmus Einfluss darauf haben kann, ob jemand die Versicherung bekommt oder viel mehr bezahlen muss, oder was auch immer, für Dinge für die die Person vielleicht gar nichts dafür kann. Bis zu irgendwie einem sozialen Netzwerkm wo soziale Strukturen einfach beeinflusst werden von Menschen, von Teams und so weiter. Ich meine wir reden halt oft irgendwie über sowas wie Conway’s Law, dass irgendwie unsere Teamstruktur beeinflusst wie der Code nachher aussieht, aber ich glaube halt auch, dass unser Erzeugnis auch wirklich eine Auswirkung darauf hat, wie die User sich verhalten und wie sie miteinander interagieren und wie sie mit dem Produkt interagieren. Ich glaube das ist wirklich komplex. Das ist kaum abzuschätzen, aber ich stimme dir zu hundert Prozent zu, dass umso diverser wir aufgestellt sind, umso mehr wir vielleicht auch mal drüber nachdenken, ob wir nicht auch nicht-Techniker von Anfang an stark involvieren sollten, damit wir nicht diese technische Brille auf alles immer haben, dass das wirklich weiterhelfen kann Produkte zu schaffen, die halt keine negativen Konsequenzen auf soziale Strukturen und so weiter haben.

Robert Glaser:

Ja, absolut Lucas! Das ist genau das Thema, aber wir versuchen… Wir sind halt irgendwie… Es gibt ja diesen Begriff des Craftsmanship, des Software Craftsmanship. Also das ist die Softwareentwicklung als Handwerkdisziplin. Ich glaube da ist, das ist so ein bisschen Abbild der Wahrheit, also viele von uns, ich schlage jetzt einfach mal den Bogen etwas größer, wir sind halt irgendwie schon an der handwerklichen Facette Softwareentwicklung relativ interessiert. Es gibt viele auch, die an Entwurfsprozessen interessiert sind. Also eher wahrscheinlich als Gebäudearchitekten, das ist ja in der Software auch der Softwarearchitekt oder die Softwarearchitektin, das ist eine andere Disziplin, eine andere Rolle. Das heißt aber nicht, dass ich nicht als ein Mensch verschiedene Rollenaspekte erfüllen können sollte, also da sind wir wieder bei diesem Thema ‚Silos‘, die ja immer so gefährlich sind. Die Softwarearchitektin sitzt im weißen Turm und malt an ihrem weißen Whiteboard irgendwelche Domain-driven Design Schnitte. Die werden dann in die Entwicklungsabteilung fallen gelassen. Wenn man sich vielleicht den weißen Turm von Isengard jetzt vorstellt, werden die Domain-driven Designs dann in die Minen von Isengard geworfen und dort von den Software-Orks umgesetzt. Um das jetzt mal sehr brutalistisch zu illustrieren. Aber das ist natürlich ein Problem, dass Rollen einfach oft in Silos gedacht werden. Eine Rolle verbinden viele einfach mit einer Berufsbezeichnung, was oft irgendwie blöd ist, diese Auslegung. Denn ich kann ja als Architekt oder Architektin sehr wohl auch mitentwickeln. Ich kann auch Dependencies installieren, ich kann auch mal einen Test schreiben. Wohingegen ich als… eher als Handwerkssoftwaremensch natürlich sehr wohl auch mal mich beteiligen kann an der Makro-Architektur, also wie schneiden wir denn unsere Systeme? Und nicht immer nur, jetzt komm: Features kloppen, Features kloppen! Aber unsere Interessen liegen halt alle auf so einem Spektrum. Es gibt mit Sicherheit Menschen, die haben an beiden gleich viel Interesse. Es gibt mit Sicherheit Menschen, die wollen lieber nur umsetzen, nur handwerklich arbeiten, sind darin dann auch extrem gut. Es gibt Leute, die sind in nichts wirklich gut, aber haben vieles mal gesehen oder vieles berührt. Und das ist halt ein Spektrum, das sind nie Silos. Die Silos bauen immer nur wir auf und stopfen die Leute darein oder stopfen uns selber darein, weil es eben so bequem ist in Silos und Schubladen zu denken. So wahnsinnig bequem. Und das ist eben eine Gefahr, die unsere Entscheidungen dann auch so im Alltag mit sich ziehen.

Lucas Dohmen:

Ja. Ich meine klar, man muss für sich ja auch selber irgendwo dann eine Grenze ziehen. Man muss halt irgendwie für sich entscheiden, wo höre ich halt quasi auf? Wo sehe ich meine Zuständigkeit? Wo ist die Grenze meiner Zuständigkeit? Wenn ich jetzt irgendwie das ganz extrem einschränken würde, dann würde ich vielleicht sagen: ‚So, ich bin der Lucas. Ich bin Ruby Entwickler und alles was kein Ruby-Code ist interessiert mich nicht.‘ Das wäre jetzt so eine ganz extreme Version davon. Oder ich sage halt, ich möchte auch verstehen: Was sind denn eigentlich… Wo kommen denn diese Requirements her? Warum sollen wir das eigentlich umsetzen? Gibt es vielleicht einen ganz anderen Weg das umzusetzen? Dann kann ich vielleicht sogar dem Kunden besser helfen, als wenn ich wirklich nur das tue, was mir angewiesen wird. Wenn ich nur genau das mache, nur diesen Ruby-Code schreibe, dann helfe ich vielleicht gar nicht so sehr, wie wenn ich nochmal drüber nachdenke, ob ich diesen Ruby-Code überhaupt schreiben sollte oder etwas ganz anderes. Und ich glaube, dass… Also wir als Menschen in der IT haben halt irgendwie schon eine sehr privilegierte Position und sollten vielleicht dieses Privileg auch nutzen, um tatsächlich nochmal zu reflektieren: Was sind die Auswirkungen von dem was wir hier gerade bauen? Und dann auch, vielleicht auch mal zu sagen: Ich glaube nicht, dass wir das bauen sollten. Oder vielleicht sollten wir das anders bauen oder vielleicht sollten wir noch beachten wie Privatsphäre mit reinspielt in unsere Anwendung. Und ich glaube wir müssen da ein bisschen mehr Verantwortung übernehmen. Das muss natürlich jeder Mensch für sich selbst entscheiden, aber ich glaube, dass das gut wäre, wenn wir das mehr tun würden und wenn vielleicht bei Facebook ein paar mehr Leute da mitmachen würden, dann hätte vielleicht auch Facebook andere Entscheidungen getroffen, die vielleicht besser für die Endanwender wären.

Robert Glaser:

Du hast recht. Das ist natürlich auf der einen Seite wahnsinnig anstrengend. Es ist einfach anstrengend aus seiner aktuellen Arbeit und der konkreten Tätigkeit so ein bisschen auszubrechen, zurückzutreten und dann vielleicht jetzt in ein Meeting oder in eine andere Arbeitsphase zu wechseln kurzzeitig, wo ich mich eben wieder mit der Makro-Architektur befassen soll, will oder muss. Oder vielleicht mal mit dem Product Owner oder der Product Ownerin mal in einen User Test gehen und einfach dabeisitze und gucke: Wie scheitern die Menschen gerade an dem UI an dem ich jetzt drei Monate gekloppt habe? Das ist anstrengend, weil Kontextverlust oder Context-Switching ist ja eins unserer großen Branchenprobleme will ich jetzt mal prophetisch sagen. Aber wir kennen das beide und viele, die uns zuhören kennen das bestimmt auch, Softwareentwicklung ist halt eine Arbeit, die lange Phasen von hoher Konzentration erfordert. Besonders dann, wenn man auf diesem Ende der handwerklichen Skala sehr arbeitet. Also wenn man sich schon sehr im Coding sieht, musst du einfach lange, hohe Konzentrationsphasen aufrechterhalten und dann immer wieder den Kontext zu wechseln und einen anderen Arbeitsmodus und der dann auch viel kommunikativer ist, weil du da auf einmal wieder mit Leuten sprechen musst und nicht coden musst. Ich meine Remote Mob Programming gibt es natürlich auch, das ist auch eine sehr kommunikative Art des Codens, aber das ist ja mit Sicherheit nicht Mainstream oder noch nicht oder passt halt auch nicht immer. Aber es ist halt einfach wahnsinnig anstrengend diese Schritte zurückzutreten, weil man vielleicht auch oft gut im Flow ist. Aber es lohnt sich, weil die Gefahr besteht halt konstant, wenn du zu lange in einem Flow verharrst, dann hast du zwar ohne Ende Output, über den wir uns am Freitagnachmittag immer so schön freuen, so: Produktive Woche, richtig viel Features gekloppt. Und vielleicht so noch ein paar Tests dafür geschrieben. Aber Output ist eben nicht Outcome und ich habe das, was ich am Ende der Woche produziert habe, ist vielleicht für mich persönlich befriedigend. Weil ich habe eben das Produktivitätsgefühl habe und das ist ja auch wichtig. Ich würde jetzt lügen, wenn ich sage: Komm, das ist nicht wichtig. Das ist eben wichtig für die Selbstzufriedenheit, aber ich finde, es gibt nichts, was einen noch mehr zufriedenstellt, als dann wirklich den full circle zu gehen und zu sehen: Was hat das jetzt für Auswirkungen, was ich geschafft habe? Ich war zwar produktiv, aber hatte das einen positiven Wert in jedweder Form? Und das kann ich im Kleinen sehen, indem ich einfach mal mit Nutzenden sprechen, in so einem Nutzerinterview mit beisitze. Aber vielleicht auch im Großen, dass unser langlaufendes Projekt immer wieder so Checkpoints hat, wo wir auch mal vielleicht sogar ein bisschen empirisch oder statistisch arbeiten, User Research machen und gucken: Was hat das auch für gesellschaftliche Konsequenzen? Das ist dann so der andere Grad der Zufriedenheit, nämlich die richtig tiefsitzende, die man schwer wieder aus einem rauskriegt. Die man eigentlich ja will, also wenn man Freitagabend zufrieden ist, dann Montag wieder eine neue Woche und montags sind meistens schlimme Tage, dann merkt man nicht mehr so viel von der Zufriedenheit über die eigene Produktivität in der letzten Woche. Da will man… Da startet man quasi neu, arbeitet vielleicht dann an anderen Themen und irgendwie dreht das Rad wieder von Neuem. Aber man will ja eigentlich auch mit dem langfristigen Effekt der eigenen Technologieentscheidungen und der eigenen Arbeit zufrieden sind und da hilft sowas eben, dieses konstante Reflektieren.

Lucas Dohmen:

Ja, das stimmt. Ja, es ist halt interessant. Ich weiß auch als ich so mit dem Programmieren angefangen habe, da war für mich halt, das Programmieren war total im Vordergrund. Dieses tatsächlich irgendwie, dass der Code eine bestimmte Ästhetik erfüllt und wohlgeformt und wartbar und so weiter ist. Und natürlich hat das für mich heute auch immer noch eine ganz wichtige Rolle, weil ich halt weiß welche negativen Auswirkungen es hat, wenn Code halt nicht wartbar ist. Aber es ist halt tatsächlich nicht das Hauptding, sondern für mich ist wirklich immer wichtiger einfach zu sehen: Was macht mein Code nachher? Also hilft der irgendjemanden tatsächlich irgendein Problem zu lösen? Oder ist das eigentlich nur eine Nabelshow? Ist das wirklich ein Code, der irgendeinen Menschen hilft, ein Problem zu lösen. Weil das ist ja eigentlich unsere Aufgabe.

Robert Glaser:

Es erhöhst einfach auch das eigene Commitment im Projekt oder in Produktentwicklung oder im Team, wenn du das schaffst und dir Schweißperlen auf der Stirn auch gönnst von diesem anstrengenden Reflektieren. Und Retros in so agilen Projekten sind nur ein, wie ich finde, relativ hilfloses Mittel diese Reflektion eben zu machen, aber die beschränkt sich meistens auch nur auf das eigene Handeln, wie wir im Team miteinander umgegangen sind. Ich kenne… Ich glaube es gibt noch keine standardisierten Prozesse. Vielleicht hört der Kollege Hermann hier zu und kennt am Ende wieder fünf davon. Aber es gibt irgendwie… Ich kenne zumindest keine, vielleicht kennst du welche. Standardisierte Prozesse wie man auch mal drei Schritte zurücktritt und nicht immer sich selbst und seine eigenen technische Erzeugnisse reflektiert oder die, die direkt unsere Personas betreffen, sondern vielleicht auch gesellschaftliche Auswirkungen. Dafür muss man natürlich schon etwas geschafft haben. Aber das würde mich mal interessieren, ob es sowas gibt.

Lucas Dohmen:

Also ich kenne keine. Vielleicht kann ich ja mal demnächst mit Hermann sprechen und mal fragen, ob er da was kennt. Also, ja. Ich bemerke gerade, dass uns unser Kunstwerk tatsächlich in eine ganz andere Richtung gebracht hat. Ich finde das ist tatsächlich auch das, was interessant ist an so einem Kunstwerk. Dass das, ich glaube, wenn drei andere Leute oder zwei andere Leute sich darüber unterhalten würden, dann würden sie vielleicht auf ein ganz anderes Thema kommen. Und für mich ist das das, was Kunst eigentlich vielleicht machen sollte. Uns einfach nochmal dazu bringen über ein Thema zu sprechen, egal ob es das Thema was sich der Künstler, oder in dem Fall jetzt die Künstlerin, ausgedacht hat oder ob es was ganz anderes ist, was gar nichts direkt mit dem zu tun hatte, was sich die Person damals gedacht hat.

Robert Glaser:

Ja und du hast ganz am Anfang noch das Wort ‚Entropie‘ bemüht, vielleicht können wir da noch kurz aufgreifen. Entropie ist natürlich irgendwie ein dankbares Thema, weil es so alles und nix ist. Man kann irgendwie alles unter Entropie verpacken. Wie wir alle oder wie viele von uns vielleicht wissen… Ne, das nehme ich zurück. Das ist glaube ich kein common sense und man muss schon so ein bisschen sich mit Astrophysik beschäftigen oder seinen Physik Grundkurs oder Leistungskurs noch ein bisschen im Hinterkopf haben, oder einfach in dem Thema gerne abnerden. Aber Entropie steigt ja immer, die nimmt nie ab in unserem Universum. Das hat uns eben auch so ein bisschen, das war auch eine Frage bei diesem Werk. Weil nämlich, Entropie wird ja oft mit Zufall gleichgesetzt, das ist nicht ganz richtig. Denn Entropie ist ja, bezeichnet eigentlich in der Thermodynamik die Anzahl der Möglichkeiten in einen physikalisch gewählten Raum. Und wenn wir jetzt mal unseren Raum selbst wählen, was wir ja als Menschen im Universum eigentlich nicht können. Aber wenn wir etwas schaffen mit Technologie, können wir das sehr wohl. Wir können diese Figur in einen Schuhkarton stellen oder in einen Palast, oder was auch immer und wählen damit ja den Raum der Möglichkeiten. Und damit limitieren wir wahrscheinlich auch die Anzahlt der Möglichkeiten, aber die Entropie nimmt immer zu. Und das haben wir so ein bisschen an unserer Figur gesehen, also die hat sehr weit aus dem Fundus der Möglichkeiten in diesem gewählten Raum geschöpft, indem sie eben nicht einfach aufgestanden ist und den, getreu dem Ministry of Funny Walks dann einen zielgerichteten, wenn vielleicht auch manchmal lustigen Gang zum Ziel gewählt hat. Die hat ja schon sehr, ja man mag das zufällig oder randomisiert finden, aber sie hat schon sehr breit ausgeschöpft aus dem Raum der Möglichkeiten mit ihren Bewegungen. Und das ist eigentlich auch eine schöne Frage, die wir uns da gestellt haben: Versuchen wir denn immer als Menschen, die im Technologiesektor arbeiten, die Entropie zu bändigen? Weil uns das unbequem erscheint oder weil es so schön bequem ist in selbstgewählten Räumen, die es vielleicht gar nicht gibt und die nicht die Wirklichkeit abbilden und die echte Gesellschaft und so cushy zones zu schaffen, so Kuschelzonen, wo wir nicht viel reflektieren müssen, wo eigentlich die Welt eine einfachere ist, als sie das tatsächlich ist und schaffen dort unsere Lösung für Menschen, die es schlimmstenfalls gar nicht gibt. Und dass, wenn man sich das auch nochmal mit im Zusammenhang mit der Entropie anguckt, hat das halt null der echten physikalischen Welt zu tun und da könnte man sich fragen: Tritt man nicht mal zehn Schritte zurück und verinnerlicht man einfach mal dieses Prinzip der Entropie? Und versucht, Entropie nicht einfach immer an jeder Ecke und Enden und Stellen zu bändigen, weil man das eh nicht kann. Sondern nimmt das einfach im Kauf, dass die Entropie immer nur zunimmt und versucht sich halt daran auszurichten.

Lucas Dohmen:

Ja, ich finde das ist halt auch interessant, wenn man die Figur betrachtet. Wenn man sich jetzt diesen Gang von dieser ursprünglichen Figur anschaut und du stellst dir vor das wäre ein Lebewesen und nicht eine Strichfigur, dann wären ja viele von diesen Bewegungen unheimlich schmerzhaft. Weil… Also wenn du dir jetzt vorstellst du würdest das tun, dann würdest du bestimmte Sachen davon einfach aus deinen unendlichen Bereichen der Möglichkeiten ausschließen, weil so eine Bewegung möchte ich nicht machen, die tut mir einfach zu sehr weh. Und ich glaube das ist auch an ganz vielen anderen Stellen so, dass wir in unserer Materie… wir vergleichen uns ja oft irgendwie mit Häuserbauern, also haben jetzt irgendwie so Worte wie Architekt oder craftspeople oder wie auch immer, aber es gibt halt doch wirklich große Unterschiede. Und das eine ist halt, dass wir einfach immer unendlich viel mehr Möglichkeiten haben. Wenn du vor einer Wand stehst und du möchtest ein Loch machen, dann kannst du das Loch nur in der Wand machen, du kannst es nicht daneben machen, weil da ist Luft. Aber wir können halt einfach ein Loch in die Luft machen. Zur Not können wir…

Robert Glaser:

Wir stellen dann eine Wand halt daneben, damit wir das Loch da rein machen können!

Lucas Dohmen:

Genau! Und wir haben… Ich finde das ist auch interessant, ich mache ja viel Webentwicklung, in der Webentwicklung haben wir uns ja sehr, sehr lange ganz starr an diese Ideen von irgendwie Print gehalten. Weil wir das halt kennen, aber eigentlich haben wir halt, wenn wir eine Webseite bauen, eine unendlich große Leinwand, auf der wir ganz andere Dinge tun können als in einer Zeitung. Und wir schränken uns oft dann im Kopf vielleicht auf Möglichkeiten ein, wo wir vielleicht tatsächlich weiter gehen könnten, und andere Sachen machen könnten, weil die Auswahl der Möglichkeiten einfach viel größer ist als wir erstmal erkennen. Und ich glaube auch da, um auch nochmal auf das Thema davor zurückzukommen, hilft natürlich auch wieder Diversität einfach verschiedene Hintergründe, verschiedene Leute, die sagen: Hey, also ich glaube hier ist noch eine Möglichkeit, über die wir noch nicht gesprochen haben! Auf die du vielleicht nicht kommst, weil Robert und ich sind uns zu ähnlich, wir kämen auf zu ähnliche Lösungen. Aber jemand der anders ist als wir beide, käme auf eine ganz andere Lösung. Und ich glaube das ist halt auch eine ganz große Chance, Entropie auch als etwas Positives zu verstehen. Zu sagen: Okay, das ist ein Möglichkeitsraum. Und natürlich muss man an irgendeiner Stelle einschränken, sonst wird man ja nie fertig. Aber dass man jetzt zumindest am Anfang ein bisschen größer aufspannt.

Robert Glaser:

Ja, aber du hast das vorhin ja adressiert, also wir… um dein Bild der Leinwand nochmal aufzugreifen. Wir malen nicht alleine auf dieser Leinwand. Nur weil wir da eine Software entwickeln auf dieser Leinwand, da kommen dann irgendwann noch ganz viele andere an diese Leinwand und schrauben etwas dran oder übermalen das, radieren etwas weg. Und wenn du halt aber ganz am Anfang den größtmöglichen physikalisch gewählten Raum hintendran stellst, um nochmal dein Bild des social networks zu bemühen und das… Du schaffst quasi einen extrem großen physikalischen Raum in dem Entropie wachsen kann und die Anzahl der Möglichkeiten eben vorgibt, wie beispielsweise ein social network. Diesen physikalisch gewählten Raum entwickelst du, jetzt überspitzt formuliert, als… alleine als weißer Mann im jungen Alter. Dann kannst du natürlich gar nicht reflektieren oder nur zum gewissen Maße, was damit passiert. Und wenn dieses Ding dann mal für zehn Jahre in der Welt ist, dann passiert auf dieser Leinwand oder in diesem gewählten Raum natürlich unheimlich viel. Und irgendwann bist du nicht mehr der alleine weiße Mann, dann bist du der ältere weiße Mann, hoffentlich der weisere Mann auch und hast aber idealerweise auch mal nicht nur andere junge weiße Männer um dich, die diese Leinwand oder diesen physikalisch gewählten Raum mit dir Formen und vielleicht safeguards einbauen oder den versuchen ein bisschen kleiner zu machen oder es begreifen, dass die Entropie immer zunimmt und die Möglichkeiten ausgeschöpft werden und dann einfach vielleicht mal ein paar Gummiwände in diesen gewählten Raum einbauen. Aber dieses konstante Reflektieren, wenn das erst nach zehn Jahren passiert, wo man vielleicht schon etliche Milliarden damit verdient hat, dann fällt das halt umso schwerer. Deswegen ist das eigentlich wichtig, dass das idealerweise von Anfang an, aber dass man konstant reflektiert und nicht erst sieht: Oh scheiße, da gehen gerade Demokratien über… Also worst case Szenario jetzt. Aber wir sehen es ja so ein bisschen, da gehen gerade Demokratien über den Jordan. Aber ne, lass trotzdem weiter Anzeigen verkaufen, weil wir können das jetzt nicht einfach halbieren. Dann ist es irgendwie schon so in den Brunnen gefallen. Und wenn dann Gesetzgeber erst agieren müssen, um dich dann in jahrelangen Prozessen dein Produkt und dein Geschäftsmodell einzupferchen in Zäune, die dann wieder auseinanderfallen, dann ist es halt schon viel zu spät.

Lucas Dohmen:

Ja, das stimmt. Ich meine das spricht natürlich dafür zu sagen, dass man eben von Anfang an ein diverses Team haben sollte in jeder Hinsicht, um halt vielleicht früher auf die Ideen zu kommen, die man später vielleicht nicht mehr stoppen kann. Die man später, auch wenn man die Leute noch dazu nimmt, dann vielleicht ist es nicht mehr aufzuhalten, sage ich mal. Weil die Entropie sich dann einfach immer weiter vergrößert.

Robert Glaser:

Auf einem großen social network rumzuhacken ist natürlich auch einfach, aber das heißt ja nicht, dass man da nichts tun sollte. Man sollte zumindest auch mal als ehemaliger Nutzer oder Nutzerin mal so ein bisschen reflektieren oder wenn man da selbst noch heute dabei ist, oder ganz andere Produkte. Man ist ja auch irgendwie immer Teil von sowas und da muss man natürlich nicht nur als Entwerfender reflektieren, sondern auch als Teilnehmer oder Teilnehmerin. Und das wird einfach glaube ich viel zu wenig reflektiert in der Technologiebranche. Und wenn man sich natürlich nur die Monster anguckt, die Entropiemonster, wie social networks oder andere Produkte, die einfach völlig eskalieren, ins Positive, wie aber leider auch oft ins Negative, da kann man glaube ich auch super viel lernen. Selbst für kleinere gewählte Räume, in denen man sich so aufhält und in denen man entwickelt und schafft. Aber auch da nimmt ja die Entropie konstant zu und wenn man dann von den Entropiemonstern lernt für seine Mönsterchen, dann macht man glaube ich nicht ganz so viel verkehrt.

Lucas Dohmen:

Ja, das ist doch ein gutes Schlusswort. Dann fordern wir doch einfach mal unsere Hörer und Hörerinnen dazu auf auch mal zu reflektieren, über Entropie, über Konsequenzen von unserem Handeln. Und ja, wenn ihr da Gedanken zu habt, dann freuen wir uns natürlich auch gerne, wenn ihr die mit uns teilt. Ich finde das immer spannend auch zu hören, was ihr dazu denkt und vielleicht auch was ihr zu dem Kunstwerk denkt. Was… Welche Assoziation ihr damit habt, finde ich total interessant. Und dann danke ich dir Robert für dieses sehr ausführliche Gespräch!

Robert Glaser:

Ja, Lucas ich danke dir! Wir sind ja so ein bisschen… Man wird immer so ein bisschen philosophisch bei diesen Fragen. Mir macht das Spaß und es schafft uns mal so eine Möglichkeit jetzt wieder so ein bisschen zurückzutreten.

Lucas Dohmen:

Definitiv! Macht mir auf jeden Fall auch Spaß.

Robert Glaser:

Von deinem Kaffee, der wahrscheinlich mittlerweile leer ist.

Lucas Dohmen:

Ja, der ist leer. Da muss ich dir zustimmen. Genau und ich glaube solche Sachen sind wichtig, dass wir sie besprechen und auch in Ruhe besprechen. Ja, deswegen danke ich dir für deine Zeit und dann sage ich mal bis zum nächsten Mal! Ciao!

Robert Glaser:

Danke euch allen! Tschüss!