Im Artikel “E-Commerce im Wandel” wurden bereits einige Herausforderungen im digitalen Handel aufgezeigt und ein möglicher Lösungsansatz angesprochen. Dieser Ansatz verschiebt den Fokus der Betrachtung auf den Kunden und integriert Business und Technik zu einer Einheit um dieser Anforderung gerecht zu werden. Dieses Modell wird häufig als Vertikalisierung bezeichnet.

Kundenzentrierung

Unternehmen agieren häufig aus der eigenen Perspektive und stellen sich selbst in das Zentrum der Betrachtung. Dies schließt sowohl Mitarbeiter, als auch Produkte und Dienstleistungen ein. Aus diesem Zentrum heraus werden, oft durch verschiedene Unternehmensbereiche, die Marketingkanäle bedient:

In einigen Fällen kommt es hier auch zum Bruch der einheitlichen Wahrnehmung eines Unternehmens: begrenzte Aktionen auf einzelne Verkaufskanäle oder qualitativ unterschiedliche Beratung in der Filiale und im Webshop. Am äußeren Ende der Betrachtung steht hier also der Kunde. Aus vielen Gründen (siehe auch “E-Commerce im Wandel”) funktioniert diese Denkweise heute allerdings nicht mehr so gut wie noch zu Zeiten vor dem Internet und der Mobilisierung.

Unternehmenszentrierung und Kundenzentrierung im Vergleich

Im Gegensatz dazu stellt die Kundenzentrierung den Kunden in den Mittelpunkt der Betrachtung. Aufgrund des offenen Wettbewerbs und der Digitalisierung haben Kunden eine große Auswahl an Optionen für ihren Einkauf und entscheiden durch Kaufabschlüsse über den Erfolg eines Händlers.

Ein guter Ansatz, um die Aktivitäten des Unternehmens an seinen Kunden auszurichten, bietet die Analyse der Zielgruppen und daraus die Ableitung der benötigten Berührungspunkte der Kunden mit dem Unternehmen. Erst dahinter folgt das Unternehmen in Form von Mitarbeitenden und Dienstleistungen. Es gibt jederzeit eine vollumfängliche, kanalübergreifende Sicht auf die Kunden. Dies bildet gleichzeitig auch die Basis für die Umsetzung echter OmniChannel-Strategien.

Customer Journey

Verbindet man die so identifizierten Berührungspunkte der (potentiellen) Kunden, läßt sich daraus eine Customer Journey ableiten. So wird die Kunden-Reiseroute innerhalb des Kaufprozesses bezeichnet. Natürlich besitzen alle Kunden eigene Reiserouten. Es gilt also, diesen bestmöglich gerecht zu werden. Bündelt man nun diese Berührungspunkte und die damit verbundenen Prozesse und Daten nach ihrem Zweck (aus Kundensicht), so bilden sich Domänen (“Problemfelder”). Diese spiegeln nun die Customer Journey wider und bilden als geschlossene Einheiten autonome Verantwortungsbereiche. Einen guten Einstiegspunkt vor allem für den B2C-Handel, also Unternehmen zu Verbraucher (B2C = “Business To Consumer”), bietet folgender Domänenschnitt.

Domänen der Customer Journey

Für den B2B-Handel (“Business To Business”) kann sich dies grundlegend unterscheiden. Der Kunde ist hier nicht der Mensch als Verbraucher, sondern ein Unternehmen - das aber durch einen Menschen repräsentiert wird. Entsprechend müssen auch die Prozesse und das Verhalten der dieser Unternehmen berücksichtigt werden.

Die Domänen fokussieren also auf kundenzentrierte, fachliche Verpflichtungen, deren Umsetzung mit kanalspezifischen Mitteln erfolgt.

Domäne Suchen

Am Anfang steht die Domäne “Suchen”. Sie vereint alle Aspekte einer Kundensuche, die bei der Aufmerksamkeit (siehe AIDA-Modell) für Produkt, Marke oder Unternehmen anfängt. Sie umfasst also mehr als die Bereitstellung eines Suchfeldes und einer Ergebnisliste (sog. “Search Engine Result Page”, SERP) eines typischen Webshops. Zu ihren fachlichen Aufgaben zählt:

Als der Bereich, mit dem die meisten Kunden also zuerst in Berührung kommen werden, umfasst die Liste der Aktivitäten neben internen Umsetzungen auch die Steuerung externer Parameter. Hierunter fallen typischerweise Online-Themen wie Search Engine Marketing (SEM). Analog dazu ist für die Offline-Welt die Zielgruppen-gerechte Positionierung und Ansprache von und durch Werbung zu sehen. Mit einer positiven Einstellung wird ein potentieller Kunde den Point of Sale besuchen. Es gilt, den Kunden an dieser Stelle gebührend zu empfangen und ihm den Start in ein angenehmes Einkaufs-Erlebnis zu ermöglichen. Kunden, die gezielt nach einem Produkt suchen, sollten dies also ohne große Hindernisse eigenständig erledigen können. Im stationären Handel gibt es hierzu Konzepte, wie eine Filiale gegliedert sein sollte. Im Online-Bereich haben sich, auch aufgrund der fehlenden räumlichen Wirkung, eigene Konzepte durchgesetzt.

Eine Herausforderung für Menschen ist die immer größer werdende Menge an Produkten in einem Teilbereich des Sortiments, im Online-Handel also das Navigieren innerhalb von Kategorien eines Katalogs. Eine Hauptaufgabe besteht also darin, den Kunden gezielt bei der Eingrenzung passender Produkte zu unterstützen. Dazu haben sich in den Webshops schon länger das Suchen auf Basis von Filtern & Facetten etabliert. Auf den gleichen Algorithmen lässt sich auch ein Guided Selling Prozess realisieren. Dieser Prozess findet im Zentrum des Point of Sales statt und entspricht am ehesten der Beratung durch einen Verkäufer in einer Filiale: durch die Beantwortung einiger, weniger Fragen zur Produktkategorie wird die Auswahl an Produkten stark eingeschränkt.

Domäne Entdecken

Nicht alle Interessenten, also Besucher am Point of Sale oder Empfänger eines Katalogs, verfolgen die Befriedigung eines Bedürfnisses. Diese Domäne widmet sich daher der Inspiration, die dann wiederum in einem Bedarf münden kann. Im traditionellen Handel werden schon sehr lange Vorschläge der Nutzung präsentiert. Mode-Kaufhäusern nutzen z.B. Schaufensterpuppen, der Mode-Versandhandel basiert dagegen fast vollständig auf Fotos von Modellen, die die Ware in Kombinationen tragen. Seit einiger Zeit gibt es auch Online in diese Richtung mehr zu sehen: es gibt eigene Magazine der Händler mit solchen Inspirationen.

Daneben gibt es in diesem Bereich aber noch eine Menge weiterer Punkte, die auch es Kunden erleichtern soll, eine Bindung zum Unternehmen aufzubauen. Neben der Inspiration ist hier auch der Mehrwert im Sinne eines herausragenden Erlebnisses (“Customer Experience”) für den Kunden ein großer Ansatzpunkt. So gibt es zum Beispiel:

Domäne Bewerten

Das Ziel der Domäne Bewerten ist es, den Kunden alle notwendigen Informationen zu angebotenen Produkten und/oder Dienstleistungen zu bieten um eine Produktwahl vorzunehmen. Sie bewerten also an dieser Stelle, ob es sich um das richtige Produkt für die Befriedigung ihres Bedürfnisses handelt. Eine klassische Aufgabe ist daher die Bereitstellung eines Product Information Systems (PIM), welches auf die Produkte des Anbieters zugeschnitten ist. Das bedeutet, neben Produktstrukturen auch Beziehungen (Kataloge, Kategorien, Varianten) und Mittel der Vergleichbarkeit bereitzustellen.

Eine weitere wichtige Aufgabe ist es, sicherzustellen, dass dieses PIM mit qualitativ hochwertigen Daten operiert. Eine mindere Qualität der Daten führt zu negativen Auswirkungen im Umsatz (vgl. “EDQ Report zu Data Quality”), während eine hohe Datenqualität zu mehr Umsatz führen kann (vgl. “EDQ Benchmark-Report zu Data Management”).

Die Informationen dieser Domäne (wie auch die der anderen Domänen) sollten kanalübergreifend genutzt werden. Hier sollte also das PIM zur Quelle der Wahrheit für Produktdaten werden.

Domäne Kaufen

Der Schwerpunkt der Domäne Kaufen liegt klar auf ihrem Namen und den damit verbundenen Bestandteilen. Aus fachlicher Sicht sind dies:

Diese Domäne ist ein großer Hebel für den OmniChannel-Handel: laufen an diesem Punkt alle Kundeneinkäufe (Filiale, Webshop) zusammen, dann ist es auch möglich den Kunden über die Kanäle hinweg den gleichen Service anzubieten, was z.B. den Umtausch mit einschließt. Ein Schuhhändler mit sehr großem Filialnetz macht seit einiger Zeit keinen Unterschied mehr, wo etwas gekauft, umgetauscht oder nachgesendet wird (siehe Bericht zu Omnichannel-Vertrieb bei Deichmann).

Domäne Prüfen

Den Abschluss des vorgestellten Domänen-Modells bildet die Domäne Prüfen, die den Kunden Zugriff auf ihr Konto gewährt:

Aus Sicht des Unternehmens stellt diese Domäne ebenfalls einen wichtigen Punkt für After-Sales-Prozesse dar: Missbrauchsprüfungen, Rechnungserstellung und Customer Support haben hier ihren Einstieg - nah an Kunde und Bestellung.

Conclusion

Fazit & Ausblick

Das aufgezeigte Modell bietet bereits einen sauberen Schnitt der Domänen entlang der Customer Journey und bildet eine mehr als solide Basis. Natürlich ist dieses Modell aber anpassungsfähig und erweiterbar, zum Beispiel durch eine zusätzliche Domäne Verstehen. Hier würden die typischen Business Intelligence Prozesse ansetzen.

Der zweite Teil dieses Artikels wird die Umsetzung dieses Modells behandeln und sich dabei auch der Frage widmen, ob und welche Auswirkungen es auf die Organisations-Struktur und insbesondere Teams gibt.

TAGS