Neue Architektur, neue Skills
Ein wesentlicher Bestandteil der Veränderung ist, dass die Einführung neuer Architekturen oft auch neue Fähigkeiten und Kenntnisse verlangt. Plötzlich werden Technologien, Frameworks, Integrationsansätze und/oder Laufzeitumgebungen relevant, die für viele Teammitglieder völliges Neuland sind. Dieser Lernaufwand ist nicht zu unterschätzen, und die damit einhergehende Unsicherheit kann schnell zur Belastung werden. Es reicht nicht, ein paar Schulungen anzubieten – es braucht eine nachhaltige Lernkultur, die Raum für Fehler bietet und Unterstützung durch erfahrene Kolleg:innen sicherstellt.
Silos aufbrechen – leichter gesagt als getan
Eine der großen Versprechungen moderner Softwarearchitekturen ist die Überwindung alter Silos. Teams sollen crossfunktional arbeiten und Verantwortung für „ihre“ Domäne übernehmen. Doch dieser Kulturwandel ist kein Selbstläufer. Wer bislang ausschließlich Backend-Entwicklung gemacht hat, tut sich womöglich schwer, plötzlich in Frontend-Technologien einzutauchen – und umgekehrt. Auch die Übernahme von mehr Verantwortung kann für manche überfordernd wirken. Es ist wichtig, die Mitarbeitenden in diesen Prozess aktiv einzubinden und ihre Bedenken ernst zu nehmen.
Kommunikationsbarrieren im Blick
Gerade das Zuschneiden der Softwarearchitektur auf die Firma bedeutet, dass die Softwareentwickler:innen sich viel mehr als je zuvor mit dem Fachbereich auseinandersetzen müssen, etwa um gemeinsam die Subdomänen der Firma zu definieren. Dies bringt häufig Kommunikationsbarrieren ans Licht, die vorher vielleicht gar nicht bewusst waren. Unterschiedliche Terminologien, Erwartungen und Prioritäten führen leicht zu Missverständnissen. Rollen, die sich stark ändern (wie z. B. die Business-Analyse), führen zu Unsicherheiten und vielleicht auch dem Gefühl von ‚Statusverlust‘. Und die Bereitschaft der „Techies“, sich tief in die fachlichen Prozesse und Ziele einzuarbeiten, ist auch sehr breit gestreut. Die Organisation muss daher gezielt Räume schaffen, in denen ein konstruktiver Austausch stattfinden kann – sei es durch Workshops, gemeinsame Retrospektiven oder durch das Einführen von Mediator:innen, die zwischen den Bereichen vermitteln.
Inkrementalismus bevorzugt – aber nicht ohne Gefahren
In vielen Fällen rate ich meinen Kunden zu einer Modernisierung in kleinen Inkrementen statt in einer riesigen Big Bang-Manier. Aus Architektur- und Businessperspektive macht das sehr viel Sinn: Statt viel Kapital und Kapazität zu binden und ein enormes Risiko mit der neuen Architektur einzugehen, kann ein inkrementeller Ansatz durch schnelle Ergebnisse und flexible Kurskorrekturen beim unweigerlichen Zusammentreffen des Plans mit der Realität punkten. Aber der menschliche Aspekt dieses Ansatzes sollte auch nicht außer Acht gelassen werden: Oft werden kleinere ‚Architecture Modernisation Teams‘ gebildet, die bereits mit neuen Technologien, Ansätzen oder einem kleinen „Greenfield“ entwickeln dürfen. Aus diesem Grund führt der Ansatz gerade bei alteingesessenen Teams zu Gefühlen von Neid oder einer generellen Ablehnung gegenüber allem Neuen. Eine gute Modernisierungsstrategie sollte deshalb Elemente beinhalten, die gezielt gegen diese Effekte wirken.
Die Herausforderung einer Reorganisation
Vielleicht haben Sie bereits mit der neuen Architektur erste Erfolge erzielt und Ihr Modernisierungs-Team wächst gemeinsam mit der neuen Software. Eine temporäre Matrix-Organisation kann dabei ausreichen, erste Erfahrungen zu sammeln, doch langfristig wird man um eine klare Aufteilung nicht herumkommen. Wenn die neuen Architekturprinzipien ernst genommen werden, führt dies früher oder später zu der Frage, ob auch die Teamstrukturen innerhalb der Aufbauorganisation angepasst werden müssen. Die Bausteine der fachlich geschnittenen Software sollten idealerweise den Verantwortungsbereichen der Teams entsprechen, was in vielen Fällen eine Umstrukturierung erforderlich macht. Solche Veränderungen greifen jedoch tief in die Organisation ein und sind selten konfliktfrei. Dies erfordert Mut und vor allem Fingerspitzengefühl, um die betroffenen Mitarbeitenden einzubinden und Widerstände zu minimieren.