This article is also available in English

INNOQ möchte sich mit der neuen Serie INNOQ Digital Art an der Diskussion über den Einfluss von Technologie auf unsere Welt beteiligen und hat im letzen Jahr den in London lebenden Künstler Matthew Plummer-Fernandez bei der Realisierung seines Kunstwerks „Vertigo in the Face of the Infinite“ unterstützt. Die Installation ist noch bis August 2018 zu sehen, in der Ausstellung Open Codes am Zentrum für Kunst und Medien in Karlsruhe (ZKM).

Kunst und Technologie – Spannungsfeld mit Potenzial

In den 60er Jahren gründete sich ein amerikanisches Künstlerkollektiv unter dem Namen E.A.T. – Experiments in Art and Technology. Das Kollektiv, unter der Führung von Billy Klüver und Robert Rauschenberg, hatte sich die enge Zusammenarbeit von Ingenieuren und Künstlern zum Ziel gesetzt und dies in seiner Satzung von 1967 niedergelegt. Eine vorausschauende Initiative, die Technologie und gesellschaftliche Verantwortung zum inhaltlichen Kern ihrer Aktivitäten machte. Die Zusammenarbeit sollte aber auch gegenseitig inspirieren und Künstler dazu befähigen, neue Technologien für ihre Projekte wirkungsvoll einzusetzen.

An dieser Stelle möchten wir Dir gerne ein YouTube Video anzeigen. Um es zu sehen, musst Du dem Laden von Fremdinhalten von youtube.com zustimmen.

„Engineers are becoming aware of their crucial role in changing the human environment. Engineers who have become involved with artist’s projects have perceived how the artist’s insight can influence directions and give human scale to his work. The artist in turn desires to create within the technological world in order to satisfy the traditional involvement of the artist with the relevant forces shaping society. The collaboration of artist and engineer emerges as a revolutionary contemporary sociological process.“ [1]

Es ist heute nicht mehr ungewöhnlich, dass Künstler mit Technologieunternehmen kooperieren. Hier finden sie eine „Spielwiese“ interessanter Möglichkeiten und Experten, die in kniffeligen Fragen bei der technischen Umsetzung unterstützen. Umgekehrt erkennen auch Technologieunternehmen die vielfältigen Möglichkeiten und Potenziale von Künstlerkooperationen. Gegenseitige Inspiration ermöglichte es beispielsweise Google, sein Virtual-Reality-Projekt „Tilt Brush“ weiterzuentwickeln und daraus spannende Inhalte für seine Kommunikation zu gewinnen. Für Künstler, die bisher vorzugsweise im klassischen Medium gearbeitet haben, ergaben sich durch die Kooperation ungeahnte Möglichkeiten, sich im virtuellen Raum ganz neu auszudrücken. Ein ideales Zusammenspiel.

“There is such a complexity to the Internet now and it is also a fragility at the same time. Engineers have to become real experts in working with that challenge. It is something that is very fruitful about this collaboration, having someone else understand that fragility and […] making sure that the Internet based applications work.“

Matthew Plummer-Fernandez

INNOQ und Medienkunst – Freiraum für Entwicklung

INNOQ gestaltet für seine Kunden digitale Gegenwart und neue Geschäftsmodelle für die Zukunft. Dabei ist man sich durchaus bewusst, welche gesellschaftliche Verantwortung man hierbei trägt. Dieses Bewusstsein ist ein wesentlicher Bestandteil der Unternehmenskultur und damit des kollektiven Denkens und Handelns. An dieser Stelle kommt auch die Medienkunst ins Spiel. Denn sie bietet eine Reflexionsfläche für Fragestellungen, die uns alle betreffen: Wie beeinflusst Technologie unser Verhalten und unsere Wahrnehmung der Welt? Wie beeinflusst Technologie die Entwicklung unserer Gesellschaft oder unserer Umwelt? Wie können wir mit den Konsequenzen leben oder wie sollten wir darauf reagieren?

Medienkunst kann uns völlig neue Perspektiven eröffnen. Im Rahmen des Corporate Design Relaunch wurde zusammen mit der Agentur die firma ein Programm für die Zusammenarbeit mit Medienkünstlern entwickelt. INNOQ Digital Art bietet die außergewöhnliche Chance, jährlich ein ausgesuchtes Projekt zu unterstützen. Dabei steht die gemeinsame Entwicklung der Kunstwerke und der intensive Austausch zwischen Mitarbeitern und Künstlern im Fokus. Ziel ist ein gemeinsames Lernen und gegenseitige Inspiration. Die Ergebnisse aus der Kooperation mit Medienkünstlern werden als wechselnde Edition jeweils im Kontext des digitalen und analogen Erscheinungsbildes von INNOQ präsentiert.

Künstler und Entwickler – Code als gemeinsame Sprache

Wenn man sich mit Medienkunst beschäftigt, kommt man an einer weltweit einzigartigen Institution nicht vorbei: dem Zentrum für Kunst und Medien (ZKM) in Karlsruhe. Wie der Zufall es wollte, bereitete das ZKM Anfang 2017 gerade eine neue große Ausstellung vor, die den Bürgern das Thema „Codes“ nicht nur durch die Ausstellung künstlerischer und wissenschaftlicher Arbeiten näher bringen, sondern durch vielfältige Interaktionen auch greifbare Erlebnisse vermitteln soll. Nach einigen Gesprächen wurde deutlich: hier bahnt sich eine fruchtbare Zusammenarbeit an. In einer gemeinsamen Künstlervorauswahl mit dem ZKM-Team fiel die Entscheidung für eine erste Kooperation auf den britisch-kolumbianischen Künstler Matthew Plummer-Fernandez.

Matthew Plummer-Fernandez vor „Vertigo in the Face of the Infinite“
Matthew Plummer-Fernandez vor „Vertigo in the Face of the Infinite“

Und damit begannen auch die Herausforderungen: nur noch drei Monate bis zum Ausstellungsbeginn, die Koordination der Zusammenarbeit aller Beteiligten zwischen England und Deutschland und viele ungelöste künstlerische und technische Fragestellungen: Wie funktioniert die automatische Ausspielung der 3D-Daten auf eine einfache Website? Wie gut reagiert die Gesichtserkennung unter Ausstellungsbedingungen? Wie schnell können die verzerrten Gesichtsobjekte in den Endlos-Stream integriert werden? Welche Server und Rechenkapazitäten benötigt man für die Live-Darstellung des Werkes auf einem fünf Meter hohen Monitorturm? Und wie lange kann das „unendliche“ Werk überhaupt am Leben gehalten werden?

Innerhalb der Monate vor Ausstellungsbeginn mussten mit Unterstützung des INNOQ-Experten Simon Kölsch noch einige schwierige Fragestellungen gelöst werden. Dass der Künstler in England und der Entwickler in Deutschland leben, war kein Problem. Nach einem initialen Treffen am INNOQ-Standort in Offenbach wurde die Zusammenarbeit auf GitHub gestartet. Dies ermöglichte das gemeinsame entwickeln des Codes, über 500 km Luftlinie hinweg.

Kick-Off im INNOQ Büro in Offenbach
Kick-Off im INNOQ Büro in Offenbach

Die Welt der Feeds – „Daten-Zombies“ aus der Tiefe des Internets

„Vertigo in the Face of the Infinite“ ist ein Kunstwerk, welches zunächst online als Website existiert, aber auch physisch Gestalt annimmt – in Form einer knapp fünf Meter hohen digitalen Skulptur. Über fünf Monitore hinweg erscheint ein scrollbarer Endlosstrang aus dreidimensionalen Objekten. Diese Kuriositäten hat Plummer-Fernandez aus öffentlichen Online-Archiven ambitionierter 3D-Modeling-Fans ausgegraben. Sein künstlerischer Code stapelt die Objekte nach dem Zufallsprinzip kontinuierlich übereinander. Ein ständig wachsender Feed, so wie wir ihn alle aus unseren persönlichen Facebook- oder Twitter-Kanälen kennen, der Vergangenes, Verlorenes oder Abgewiesenes wieder ans Tageslicht bringt. Die teils irritierenden 3D-Fragmente reflektieren die Informationsflut unserer aktuellen Internet-Kultur, bestehend aus Social-Media-Feeds, Microblogging und journalistischen Aktivitäten rund um die Uhr. Der Medienfluss giert nach unserer Aufmerksamkeit und zwingt uns förmlich zur Teilnahme, wenn wir nicht ins digitale Abseits geraten wollen.

The work questions how the Internet itself has evolved from the very early notions being connected via the Internet through to web 2.0 technologies, social media and infinite scrolling websites. There is a scaling of the Internet now, that is so vast and virtually infinite, so participatory.

Matthew Plummer-FernandezArtist

Auch „Vertigo in the Face of the Infinite“ erlaubt uns zu partizipieren. Wir stellen uns vor einen Touchscreen mit integrierter Kamera, nehmen ein Selfie auf und reihen uns nach kurzer Zeit in den Feed ein. Unser Abbild erscheint allerdings nur als fratzenhafte Verzerrung, ähnlich den entlarvenden Zerrspiegeln auf Jahrmärkten aus einer anderen Zeit.

Wer sind wir im Angesicht des Digitalen? Bei dieser Frage bleibt nur die Gewissheit, dass wir Teil einer Datenmasse sind, die wir eigentlich nicht verstehen und auch nicht mehr kontrollieren können. Selbst wenn wir uns wieder materialisieren, so wie einige Zerrgesichter aus dem virtuellen Turmgebilde als 3D-Drucke den Rückweg in die Realität gefunden haben, reihen wir uns doch in eine zunehmend gleichförmige Struktur ein, aus der es kein Entrinnen zu geben scheint. Themen wie die Digitalisierung aller Lebensbereiche, der gläserne Kunde, die automatisierte Vorratsdatenverarbeitung und politische Beeinflussung durch Fake News bekommen plötzlich eine neue Bedeutung.

3D-Drucke
3D-Drucke

„Digital Art can do a lot for audiences. Some practices are very didactic, making people more aware of the systems that they use or the hidden infrastructure. Digital Art could also be used to test boundaries and discuss social norms.”

Matthew Plummer-Fernandez

Faszination für Code – The Soft Power of Automation

Plummer-Fernandez befasst sich damit, wie Algorithmen unser Leben heute an vielen Punkten steuern – sei es bei Reisebuchungen oder der Recherche für ein Buch. Algorithmen unterstützen inzwischen nicht nur, sie treffen auch Entscheidungen für uns.

„There is this hidden decision-making entity (behind technology driven applications) and a very reductive understanding of that activity. In a way that really shapes how humans operate and how they behave.“

Matthew Plummer-Fernandez

Plummer-Fernandez bezeichnet diese Entität als „the soft power of automation“. Ihr gilt seine Faszination. Er spürt sie auf im Netz und archiviert die Fundstücke auf seinem tumblr-Blog Algopop. Seine Kunst mutet oft spielerisch an. Dabei ist es gerade seine vermeintliche Leichtigkeit, die anregt, über Zusammenhänge und verdeckte Machtstrukturen nachzudenken.

Literatur & Links

  1. http://www.vasulka.org/archive/Institutions1/EATnews.pdf  ↩

Fazit

Und hier schließt sich der Kreis. Auch INNOQ begreift Technologie als Chance und sieht vielfältige Möglichkeiten einer positiven Digitalisierung. Aber eben nicht nur als Geschäftsmodell, sondern als aktive Mitgestaltung unserer Zukunft. Es gilt zum einen, technologische Entwicklungen kritisch zu hinterfragen und aus verschiedenen Blickwinkeln zu betrachten, und zum anderen, neugierig und mutig mit neuen Technologien zu experimentieren. Digitale Kunst kann für beide Anlässe der ideale Nährboden sein. Aus diesem Grund wurde die Edition “INNOQ Digital Art” ins Leben gerufen, die jedes Jahr neu und überraschend, visuelle und inhaltliche Akzente setzen wird und hoffentlich dazu beiträgt, Codes und Algorithmen mit anderen Augen zu betrachten.